Textlabor #28

Das Mädchen – ein Neutrum?

Gezeichnete Glaskolben wie aus einem Chemielabor weisen auf das Serviceangebot des Textlabors hin: Hier bespricht das Team Genderleicht knifflige Textfragen.

Zum Internationen Frauenkampftag am 8. März erreichte uns die Zuschrift von Martina. Sie macht sich für Mädchen stark. Allerdings findet sie es empörend, dass es „das“ Mädchen heißt. Martina schlägt eine Änderung des bestimmten und unbestimmten Artikels vor:

Wie wäre es mit: die Mädchen bzw. eine Mädchen?

Liebe Martina,

tolle Frage zum 8. März! Der Frauentag ist selbstverständlich auch ein Mädchentag!

In der DDR gab es Blumen für die Frauen, als Gedenktag war er aber ein normaler Arbeitstag. In Berlin ist der Frauentag seit 2019 ein arbeitsfreier Feiertag. Kurzer Blick zurück, woher er kommt: Auf Initiative sozialistischer Organisationen ist der Frauentag vor dem Ersten Weltkrieg entstanden, im Kampf um Gleichberechtigung, um das Wahlrecht für Frauen sowie für die Emanzipation von Arbeiterinnen. Die UN bestimmte 1975, im Internationalen Jahr der Frau, den 8. März zum „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“.

Kommen wir zu Ihrer Frage: Es ist eine bedauerliche Besonderheit, dass im Deutschen das Mädchen sächlich ist, anders als im Französischen „la fille“ oder „una ragazza“ im Italienischen. Blöderweise sagen wir auch noch eingedeutscht: „das Girl“. In Deutschland wird das Mädchen erst dann sprachlich feminin, wenn sie aufgrund ihres Alters zur Frau wird.

Erinnern wir uns an „das Fräulein“. Auch dieses war sächlich und erst durch die Vermählung mit einem Mann wurde „es“ zur weiblichen Frau. Vor kurzem konnten wir uns nochmal darüber freuen, dass das Wort „Fräulein“ vor 50 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland abgeschafft worden ist: Am 16. Januar 1972 erging ein Runderlass des damaligen Bundesinnenministers Hans-Dietrich Genscher, dass Männer und Frauen in der Anrede nicht unterschiedlich behandelt werden sollten. Im behördlichen Sprachgebrauch sei für jede weibliche Erwachsene die Anrede „Frau“ zu verwenden. Zuerst verschwand so das diskriminierende „Fräulein“ aus dem Amtsdeutsch, dann aus dem alltäglichen Sprachgebrauch. Auch unverheiratete weibliche Personen waren nunmehr „Frauen“. Zunächst gab es noch Irritationen, wenn Mädchen im Teenageralter als „Frau“ tituliert werden sollten. Aber das gab sich mit der Zeit.

Geblieben ist „das Mädchen“ mit dem sächlichen Geschlecht. Jedoch hat sich glücklicherweise eine neue Sprachgewohnheit etabliert: Wenn wir über ein Mädchen schreiben, wird der darauffolgende Satz mit einem femininen Pronomen fortgesetzt. Und der Satz kann auch feminin eingeleitet werden, denn der Inhalt bezieht sich klar auf eine weibliche Person, egal wie alt sie ist:

„Sie ist das Mädchen, das heute Geburtstag hat. Sie wird 4 Jahre alt.“

Insofern wird die vorgebliche Sächlichkeit des Mädchens bereits automatisch von uns allen korrigiert. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache bestätigt diese Beobachtung zum alltäglichen Umgang mit der Sprache in Grammis, seinem grammatischen Informationssystem, mit diesem Beispielsatz und weiteren Erläuterungen zur Regelverletzung:

„Das Mädchen ist erst zwei Jahre alt, aber sie kann schon ihren Namen schreiben.“

Hoffnung gibt uns der Duden: Sprachsensibel weist er darauf hin, dass das Wort Mädchen nur noch in der Bedeutung Kind weiblichen Geschlechts verwendet werden sollte: „In den weiteren veraltenden oder veralteten Bedeutungen gilt die Bezeichnung Mädchen zunehmend als diskriminierend.“

Ein wenig verstimmt uns dann noch die Tatsache, dass der Ausdruck „Du Mädchen“ eine Beleidigung sein kann. Der Begriff kann verwendet werden, um „jemanden in seiner“ Ehre herabzusetzen und das kann dann mit einer Geldstrafe von 200 Euro geahndet werden. Also, Mädchen sind da nicht beleidigt.

So viel zum Mädchen: für uns kein Neutrum!

Die von Ihnen angeregten Sprachänderungen sind ein interessanter Aspekt in der gegenwärtigen Sprachdebatte. Sie müssten allerdings von Vielen getragen und vorangetrieben werden. Wir fürchten, mehr als die oben beschriebene Angleichung an die Weiblichkeit mittels Sprachgewohnheit ist nicht drin. Denn Wörter mit der Endung -chen sind immer sächlich: Märchen, Säckchen, Blümchen, und bei Lebewesen: Liebchen, Kätzchen, Männchen und so weiter.

Weiter mit Mädchenpower!
Team Genderleicht


Hörtipp

„Der Mann, die Frau, der Junge – aber das Mädchen. Warum eigentlich?“ Podcast Sprachstunde von Chrismon Chefredakteurin Ursula Ott, Folge 9, mit Genderleicht-Projektleiterin Christine Olderdissen

 

Rat und Expertise

Mitten im Sprachwandel gab es viele Fragen zum geschlechtergerechten Schreiben und Sprechen. Das Team Genderleicht hat während der ersten Projektphase 2020/21 viele Zuschriften beantwortet. Wir haben fachlichen Rat recherchiert und uns am allgemeinen Sprachgefühl bei unseren Anregungen und Empfehlungen orientiert. Wir finden: Zum Gendern ist alles gesagt. Eine Antwort auf Ihre kniffelige Frage finden Sie bestimmt im Textlabor.