Bilderkritik: Tipps für die Bildauswahl
Die Bebilderung von Artikeln ist eine herausfordernde Arbeit: Neugier auf den Inhalt wecken und seine Kernaussage treffen. Dabei auf die Leitlinien des Mediums achten und alle Ansprüche auf Geschlechtergerechtigkeit und Abbildung von Vielfalt erfüllen. Liegt ein passendes Foto vom Anlass vor? Gibt es für die Suche in der Bilddatenbank ein geeignetes Schlagwort? Das Ganze unter Zeitdruck, denn das Produkt soll zügig veröffentlicht werden. Kein Wunder, dass auch mal etwas schiefgeht.
Wir sammeln Bildbeispiele für eine unglückliche Bildauswahl. Bei den kritischen Fundstücken können wir sagen: zu stereotyp, zu klischeehaft und oft sogar sexistisch. Wir zeigen aber auch lobenswerte Bilder, flankiert von Tipps aus unserer Checklisten-Sammlung Bildercheck. Diese Zitate machen deutlich, wie eine geschlechtergerechte Bildauswahl gelingen kann.
Bilder im Kontext kritisch betrachtet
Thema: Frauen in Führungspositionen
Was wir nicht mehr sehen wollen: Pumps und Herrenhosenbeine.
Wir brauchen andere Bilder für dieses Thema!
Als sich die Führungsriege der Telekom am 15.5.2014 bei der Hauptversammlung in Köln vor die Presse stellte, hatten alle noch Köpfe. Fürs Symbolbild wurden jedoch nur Unterleib und Beine fotografiert. Denn es geht nicht konkret um diese Personen. Sie stehen symbolisch für Frauen in der Runde von Männern im Vorstand deutscher DAX-Unternehmen.
Dennoch sind solche Symbolbilder ärgerlich. Die immergleiche Kombination aus nacktem Frauenbein und Männerhosen. Geht es auch anders?
Dieses Foto hat eine erstaunliche Karriere gemacht. Mehr als 140 Mal erschien es in zahlreichen Publikationen, eine Auswahl:
Der Spiegel, 1.4.2017; Süddeutsche Zeitung; 30.9.2018; Tagespiegel, 7.4.2019; Allgemeine Zeitung; 27.11.2020, Stuttgarter Zeitung, 15.8.2021; Manager Magazin, 28.11.2020, Tagesschau; 7.2.2022, RND, 18.10.2023
Ist dieses Symbolbild besser? Hier trägt die Frau zwar Hosen. Aber ihre Körperhaltung ist wackelig: Sie steht nur auf einem Bein, lehnt sich anscheinend an die Wand hinter ihr. Die Männer dagegen stehen mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Zum Thema Geschlechtergerechtigkeit in Top-Positionen braucht es bessere Bilder.
Bildermächtig-Fotoprojekt
Frauen in einer Führungsposition
Dekorativ oder bossy?
Führungsfrauen zeigen Gesicht
Ausgerechnet zum Internationalen Frauentag am 8. März 2024 setzt die Redaktion von BR 24 ein Pumps-Foto.
Bildernot gab es beim angekündigten Thema übrigens nicht, denn es geht um die Ampelregierung, Außenministerin Annalena Baerbock und Svenja Schulze, Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Fotomaterial von ihrer Verkündung der Feministischen Außenpolitik am 1. März 2023 ist in allen Archiven reichlich vorhanden.
Auch der SPIEGEL griff zum Internationalen Frauentag 2024 zum ikonischen Pumps-Foto.
Mehr über das Ärgernis zur Darstellung von Frauen in Führungspositionen finden Sie in der Bildermächtig-Blogserie.
Mit Pumps und Po in die Chefetage?
Wo Bilder für Führungsfrauen fehlen
Stereotype Bilder in den Medien
Nie wieder Pumpsfotos
Alternativen im Test
Auch der SPIEGEL griff zum Internationalen Frauentag 2024 zum ikonischen Pumps-Foto.
Mehr über das Ärgernis in unserer dreiteiligen Serie zur Darstellung von Frauen in Führungspositionen.
Mit Pumps und Po in die Chefetage?
Wo Bilder für Führungsfrauen fehlen
Stereotype Bilder in den Medien
Dekorativ oder bossy?
Führungsfrauen zeigen Gesicht
Thema: Frauen in der Politik
Wer ist die Frau in Rot?
Pressekonferenz zu Beginn der Klausurtagung des Bundeskabinetts auf Schloss Meseberg im März 2023. Kanzler Scholz in der Bildmitte ist scharf. Vorne links sitzt Annalena Baerbock, hinten rechts sitzt Claudia Roth. Dazwischen fünf Männer, gut identifizierbar, und eine weitere Frau im roten Jacket. Kanzleramtsminister Schmidt beugt sich so weit nach vorne, dass er sie verdeckt. Hätte es kein besseres Foto gegeben?
Wir können das Rätsel lösen: Die Frau in Rot ist Sarah Ryglewski, Staatsministerin für die Bund-Länder-Zusammenarbeit.
Thema: Rente
Rollator und Parkbank sind zu Symbolen für die Rente geworden. Dabei hat das Alter viele Facetten, das wird bei der Bebilderung oft vergessen. Schließlich können auch 63-Jährige in Frührente gehen, bevölkern agile Senior*innen die Fitnessstudios, stürmen die Museen und Theater, meist ohne Rollator. Die Lebensspanne Altern umfasst 20, wenn nicht sogar 30 Jahre. Erst mit der Zeit setzen Krankheiten und das Nachlassen körperlicher und geistiger Fähigkeiten ein.
Rethinking Altsein
Thema: Frauenhaus
Warum sind die beiden so traurig?
Die Meldung ist positiv: Es gibt mehr Geld für Frauenhäuser. Das Foto, ein Symbolbild für die Not von Frauen und Kindern aufgrund von Partnerschaftsgewalt, suggeriert jedoch das Gegenteil: Kummer und Leid. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg hat bei seinen Pressemitteilungen eine Text-Bild-Schere gebaut. Mittlerweile hat die Pressestelle das Bild ausgetauscht, gegen ein Foto aus dem Fotopool „Empowering Connections“.
Was besser passt
Neue Bildsprache für Frauenhäuser
Thema: Abgeschnittene Köpfe
Um Bilder zu „neutralisieren“ werden Köpfe weggeschnitten. Manchmal geht der Schnitt mitten durchs Gesicht. Sehr oft bei Frauen.
Das Unterwäsche-Bild wäre mit den Köpfen der Frauen nicht weniger aussagekräftig. Thematisch geht es um Body-Positivity. Die drei wirken recht zufrieden mit ihren Körpern.
Dieses Bild ist irreführend. Die kopflose Frau ist nicht nur zu jung für den Vorstandsposten. Sie sitzt auch in einem Café statt im Büro. Und: Es wäre ein Leichtes gewesen – passend zur Überschrift – das Foto einer Vorstandssitzung zu zeigen, bei dem die Männer unter sich sind. Wie noch immer häufig: „Zwei von drei Vorständen sind Männerrunden“.
Solche Bilder wollen wir öfter sehen:
Thema: Spitzenfrauen
Was wir sehen: Die Klinikchefin und sechs Kolleginnen in weißen Kitteln, die fröhlich miteinander sprechend schnellen Schrittes auf die Kamera zu laufen. Ein ungestelltes Bild, authentisch.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Achten Sie bei der Bildauswahl auch auf die Mimik und die Körpersprache. Während Männer häufig in Körperhaltungen gezeigt werden, die Raum beanspruchen, werden Frauen im Durchschnitt eher in Körperhaltungen abgebildet, die das Gegenteil signalisieren.
Thema: Politik
Was wir sehen:
Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesfamilienministerin Lisa Paus sitzen nebeneinander am Kabinettstisch. Der Spiegel berichtet über ihre Auseinandersetzung zu „Einschnitte beim Elterngeld“. Lindner und Paus sprechen auf Augenhöhe miteinander. Das ist fair.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
In welchem Verhältnis zueinander werden Frauen und Männer dargestellt? Auf gleicher Ebene?
Thema: Sonnencreme
Was wir sehen:
Ein Mann in Badehose rennt mit einem Flamingoschwimmreifen durchs Flachwasser eines Sees. Die Sonnenstrahlen wirken als Fingerzeig: Achtung, schönstes Sommerwetter – Hast du an Sonnenschutz gedacht?
Dies ist eine gelungene Bildalternative zu den üblichen Fotos mit halbnackten Körpern von Frauen oder Kindern beim Einreiben mit Sonnencreme.
Unser Tipp:
Sexualisierung muss nicht sein. Suchen Sie Alternativen, auch mit visuellem Überraschungseffekt.
Noch ein Bild zum Thema Sonnencreme. Was wir sehen:
Zwei Frauen, die kurz davor sind, sich küssen. Zwischen ihren Gesichtern blitzen Sonnenstrahlen hervor. Auch dies ist eine gelungene Bildalternative zu den üblichen Fotos für Empfehlungen bei Sonnenschutz.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Ausgewogenheit:
Achten Sie darauf, dass die Positionierung und Verteilung von sichtbar diversen Menschen gleichwertig ist.
Thema: Krieg in der Ukraine
Was wir sehen:
Bild 1: Eine Frau in Kampfuniform, aber ohne Helm. Sie liegt schießbereit mit einem Gewehr auf dem Boden. Die Bildunterschrift informiert: Sie wurde bei einer „Schulung für Kampfsanitäter“ fotografiert. Hat sie den Helm ausgezogen, damit besser zu sehen ist, dass es eine Frau ist?
Bild 2: Fürs dpa-Foto haben sich zwei vermummte Soldatinnen für das Doppel-Portrait positioniert. Im Artikel des Tagesspiegel gibt es weitere Fotos, die haben ukrainische Soldatinnen selbst gemacht. Ebenso in einem Tagesspiegelartikel vom Juli 2024 über die Instagram-Accounts von Ukrainerinnen.
Professionelle Fotos von Frauen an der Front haben in den Bildagenturen Seltenheitswert. Die Recherche in den seriösen Bilddatenbanken ist entsprechend langwierig. Wir haben es mit verschiedenen Schlagwörtern probiert:
Frauen Ukraine Armee | Frau Ukraine Gewehr | ukrainisch weiblich Soldat | ukrainisch weiblich Uniform | ukraine weiblich Armee
Die besten Ergebnisse haben englische Schlagwörter geliefert:
ukraine female soldiers | ukrainian armed forces female
15 % beträgt der Frauenanteil bei den ukrainischen Streitkräften. 5000 Frauen sollen im vordersten Fronteinsatz sein. Sie sind nur äußerst selten auf Fotos oder in Fernsehberichten zu sehen.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Verwenden Sie auch Bilder von Frauen und Männern in „geschlechtsuntypischen“ Rollen und Berufen.
Thema: Familienhund
Was wir sehen: Ein schwules Paar, ein Hund und ein kleines Mädchen. Es könnte eine Regenbogenfamilie sein. Das Thema ist mit einer überraschenden Familienkonstellation bebildert. Alle vier wirken einander sehr zugewandt und sympathisch.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Wird die gesellschaftliche Vielfalt repräsentiert? Allgemeine Themen wie Arbeitsplatz, Bildung, Familie oder Rente können auch mit Regenbogenfamilien, Menschen mit Migrationsgeschichte oder mit Behinderung bebildert werden.
Thema: Studie zu sexueller Belästigung von Politikerinnen
Was wir sehen: Blick in den Plenarsaal des Bundestags, von der Reichstagskuppel nach unten fotografiert. Die Bildredaktion hat darauf verzichtet, das Thema mit dem inszenierten Bild eines sexuellen Übergriffs zu bebildern.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Versuchen Sie, auch strukturelle und gesellschaftliche Dimensionen aufzuzeigen, indem sie auf Personalisierung, Dramatisierung, Individualisierung verzichten und stattdessen zum Beispiel Bilder von involvierten Institutionen zeigen.
Thema: Gewalt gegen Frauen
Was wir sehen: Verletzungen am Auge einer Frau. Sie stammen vermutlich durch einen Faustschlag. Eigentlich gibt es den Wunsch, keine Fotos zu präsentieren, die retraumatisierende Situationen der Gewaltausübung zeigen. Bei diesem Artikel aber geht es um das Erkennen und Dokumentieren der Spuren von Gewalt.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Es braucht bei Berichterstattung über geschlechtsspezifische Gewalt und ihre Folgen besondere Aufmerksamkeit, eine passende Bildsprache zu finden, die weder Gewalt zeigt noch Klischees.
Thema: Frauenhaus
Was wir sehen: Zwei Frauen in der Rückenansicht. Eine der beiden trägt ein Kopftuch, sie hat den Arm um die Schulter der anderen gelegt. Die Bildunterschrift klärt auf: Es sind die Leiterinnen eines Frauenhauses. Sie möchten ihre Anonymität wahren und sind deshalb von hinten fotografiert. Ebenfalls erwähnenswert: Dieses Foto dokumentiert eine vorgefundene Situation. Es ist kein Symbolbild aus einer x-beliebigen Bilddatenbank. Das Foto ist der Aufmacher zu einer Reportage über ein Frauenhaus. Die weiteren Bilder, auch zu finden auf Instagram, zeigen Aufenthaltsräume und Kinderspielzimmer.
Das Bild erzählt noch mehr: Die beiden Frauenhausleiterinnen arbeiten vertrauensvoll zusammen. Ihre Körperhaltung hat etwas Tröstendes. Sie signalisiert: Im Frauenhaus finden Betroffene den Schutz, den sie brauchen. Außerdem haben muslimische Frauen hier eine Ansprechpartnerin, denn die Kopftuchtragende ist Muslima.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Versuchen Sie, auch strukturelle und gesellschaftliche Dimensionen aufzuzeigen, indem sie auf Personalisierung, Dramatisierung, Individualisierung verzichten und stattdessen zum Beispiel Bilder von involvierten Institutionen zeigen.
Thema: Digitalisierung in der Medizin
Was wir sehen: Ein vierköpfiges Team betrachtet gemeinsam MRT-Aufnahmen an einem großen Bildschirm. Zwei Frauen, zwei Männer, ethnisch gemischt, sie wirken gleichberechtigt.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Wohin oder auf wen wird der Blick der betrachtenden Person gelenkt? Mit mehreren Blickachsen vermeiden Sie die Zentralsetzung einzelner Personen. Machen Sie bildlich unterschiedliche Identifikationsangebote. Achten Sie auf visuelle Darstellung der Vielfalt der Menschen.
Thema: Auszubildende gesucht / Freie Lehrstellen
Was wir sehen: Eine junge Frau steht in einer Werkstatt und misst etwas mit einer Wasserwaage. Sie trägt einen Overall mit Schmutzspuren ihrer Arbeit, auch ihre Unterarme sind schmutzig. Sie hat die langen Haare zum Dutt hochgesteckt. Das Foto ist als Symbolbild gekennzeichnet. Ist das Foto authentisch? Die großen, freischwingenden Ohrringe vertragen sich nicht mit Arbeitsschutzvorschriften. Vielleicht ein Hinweis, dass die Frau ein Model und keine Handwerkerin ist. Bleiben Sie bei der Bildauswahl kritisch!
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Bilder ermöglichen es, typische Rollenklischees aufzubrechen. Wir wollen Frauen und Männer zeigen, und dies nicht nur in traditionellen Berufen und Tätigkeiten, sondern in den verschiedensten Bereichen und auf unterschiedlichen Hierarchieebenen.
Was wir sehen: Ein Mädchen und ein Mann arbeiten gemeinsam in einer Werkstatt an einem Bohrer. Es ist eine Situation bei einem Schnupperpraktikum: Das Mädchen wird angeleitet und darf selber mitmachen. Das Bild entstammt einer Serie von Stockfotos zum Thema Praktikum für technisch-handwerkliche Berufe. Das Gute an der Serie (wir haben sie uns in der Datenbank angeschaut): Hier werden gleichermaßen Mädchen und Jungen gezeigt. Das ist ein wichtiges Signal als Rolemodel.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Vermeiden Sie stereotype Darstellungen von Geschlechterrollen. Zeigen sie auch Frauen in technischen Berufen.
Was wir sehen: Jemand trägt einem jungen Mädchen im Bundeswehroutfit Tarnfarbe im Gesicht auf. Daneben, auf einem Feld eine Reihe junger Menschen, ebenfalls im soldatischen Look. Der Artikel beschreibt ein Bundeswehr-Camp: Ausprobieren, ob der Job bei der Armee das Richtige wäre. Das Besondere an dieser Bildkombination ist, dass der Blick vorrangig auf die junge Frau gelenkt wird. Das überrascht, denn Militär gilt immer noch als Männersache.
Tipp aus unserer Checklisten-Sammlung:
Verwenden Sie auch Bilder von Frauen und Männern in geschlechtsuntypischen Rollen und Berufen.
Thema: Altwerden – Altsein
Ein ungewöhnliches Bild: Eine ältere Frau im Badeanzug. Gleich erhebt sie sich und stürzt sich in die Meereswellen. Sie sieht topfit aus, eine Schwimmerin.
Themen, die mit Alter zu tun haben, werden all zu oft mit Gebrechlichkeit bebildert: Frauen und Männer, die müde auf der Parkbank sitzen oder einen Rollator benutzen. Die Realität sieht anders aus. Viele Menschen im Rentenalter haben noch lange ein aktives Leben, sind körperlich agil und geistig fit.
Tipp aus unserem Bildercheck:
Werden Klischees reproduziert? Bei der Bebilderung von Themen über Minderheiten gilt: Immer auf (eigene) Klischees überprüfen. Und die Sehgewohnheiten der Rezipient*innen auch mal herausfordern.
Gleichberechtigung und Freiheit von Diskriminierung stehen als fundamentale Prinzipien im Grundgesetz.