So vermeiden Sie Sexismus in der journalistischen Fotografie

Welches Bild haben Sie von Frauen? Alle jung, hübsch, schlank? Wen sehen Sie, wenn Sie die Zeitung aufschlagen oder die News in Online-Medien verfolgen? Mehr Männer als Frauen?

Was meinen Sie: Stimmen die Fotos, die wir beim täglichen Medienkonsum sehen, mit der Wirklichkeit überein? Oder leben wir in einer medialen Welt voller Klischees: „Frauen sind so, Männer so“?

Geschlechtsstereotypes Bild: Zwei gestylte Frauen schieben Kinderwagen im Park

Foto © Tyler Olson Simplefoto, AdobeStock

Zwei Mechaniker arbeiten gemeinsam an einem Motor.

Foto © Zero Creatives GmbH

Stereotype in den visuellen Medien

Frauen mit Kinderwagen, Männer in der Autowerkstatt. So platt, so simpel. Es gibt sie noch, solche Fotos, die herkömmliche Geschlechterrollen bedienen. Mit stereotypen Rollenbildern werden alle Menschen von klein auf konfrontiert und nehmen es viel zu oft als gegeben hin: Männer wären angeblich das überlegene Geschlecht, Frauen würden in der Hierarchie darunter stehen. Die tägliche Bilderflut hat einen starken Einfluß auf den Erhalt der Geschlechterordnung.

Sexistisches Denken prägt Rollenvorstellungen und Erwartungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Es drängt viele Menschen zu geschlechterstereotypem Verhalten und bestimmt, wie sie „zu sein haben“.

Wir sehen auch andere Bilder

Ein Mann mit Baby im Tragetuch und eine Frau, die an einem Auto schraubt. Bei solchen Fotos im journalistischen Zusammenhang stellen sich Fragen: Was zeichnet ein Bild der Wirklichkeit, und was ist ein Idealbild? Ist der Mann der Vater des Kindes, und tut er nur fürs Foto so, als würde er sich um den Haushalt kümmern? Ist die Frau eine echte KFZ-Mechanikerin oder ein Model? Immerhin: Sie ist weder jung noch sexy inszeniert.

Andere Bildsprache: Ein Mann mit einem Baby im Tragetuch spült Geschirr in der Küche

Foto © Westend/Halfpoint

Andere Bildsprache: Eine ältere Automechanikerin schraubt an einem Auto in einer Werkstatt

Foto © Westend61/INIMAGES

Die Bilder, die uns täglich digital und analog überfluten, sind vom sexistischen Blick geprägt. Steile These? Mit Absicht! Denn wir möchten alle, die mit journalistischer Fotografie befasst sind, auffordern, sich selbst und ihre Arbeit kritisch zu betrachten. Also auch Sie!

Beim Fotografieren kann die diskriminierungsfreie, faire Bildberichterstattung beginnen. Die Verantwortung für gendersensible Bilder im Journalismus liegt bei den Fotograf*innen, also bei Ihnen. Oder gehören Sie zu denjenigen, die in den Redaktionen die Bilder auswählen und bearbeiten? Dann bestimmen Sie die Nachfrage bei den Agenturen: Welche Bilder sind nicht so klischeehaft? Welche passen besser zur Realität?

Medien können einen positiven Beitrag zur Geschlechterkonstruktion ihrer Nutzer*innen leisten, indem sie auf Sichtbarkeit achten und dazu beitragen, Klischees aufzubrechen, stereotype Geschlechterrollen zu vermeiden und ihren Nutzer*innen neue Perspektiven auf Geschlecht in seiner Vielfalt zu eröffnen.

Heike vom Orde

Geschlechterdarstellungen in den Medien: Eine unendliche (Klischee-)Geschichte

Niemand ist frei von Gender-Bias

Seien wir ehrlich: Sexistische Vorurteile und Annahmen zu Geschlecht haben wir alle. Also sowohl die Personen, die die Fotos erstellen, genauso wie jene, die sie für ihr Medium einsetzen und schließlich die, die sich diese Bilder anschauen.

Eine gezeichnete, rote Glühbirne mit Strahlen symbolisiert: Hier bekommen Sie gute Ideen für geschlechtergerechtes Schreiben

Was will gendersensibler Journalismus?

Gendersensibler Journalismus wirkt Sexismus entgegen. Er löst Geschlechterstereotype auf und setzt faire Bilder dagegen. Er holt Frauen aus der Unsichtbarkeit, aus dem Weggedrängtsein und präsentiert sie fotografisch auf Augenhöhe.

Er bildet gesellschaftliche Diversität wirklichkeitsgetreu ab, in ihren unterschiedlichen Kategorien von Vielfalt: geschlechtliche Identität, Hautfarbe und Herkunft, Alter, Behinderung, Religionszugehörigkeit. Diese Kategorien überschneiden sich mehrfach und immer auch mit der größten marginalisierten Gruppe: Frauen.

In der digitalen Bilderflut überwiegen visuelle Reize

Durch das Internet und erst recht durch die  Smartphones in unseren Händen strömt eine unfassbare Menge an Fotos und Videos auf uns ein. Wir sind mehr denn je auf bildliche Kommunikation fixiert.

Menschen reagieren auf visuelle Reize in Bruchteilen von Sekunden, emotional und unbewusst: von Neugier über Begeisterung bis zur Empörung reicht das Spektrum.

Fast alle journalistischen Produkte sind heute visuelle Medien. Bilder nehmen eine zentrale Rolle im Journalismus ein. Jede Nachricht, jeder Artikel, jedes Posting benötigt ein Foto, um zu der gewünschten Interaktion anzuregen: „Ich will mehr über das Thema erfahren“.

Bei Printprodukten wie Zeitungen und Zeitschriften sollen Fotos den Kaufanreiz schaffen. Digitale Medien zielen auf den Klick-Impuls: Online-Magazine quellen über von Fotos, die um unsere Aufmerksamkeit buhlen.

Schon länger wissen wir: Facebook-Posts mit Foto erhalten mehr „gefällt-mir“-Angaben und mehr Kommentare, Tweets mit Fotos mehr Retweets. Heute nun X, Mastodon, Bluesky und Threads, LinkedIn, Instagram, TikTok. Wir scrollen durch den ewigen Strom an aufgepeppten Fotos und Videobotschaften namens Reels.

Was ist das Problem bei Stereotypen?

Visuelle Stereotype senden Botschaften und werden schnell, effektiv und eindeutig verstanden. Der Journalismus setzt häufig auf klischeehafte Aufnahmen und wiederholt vergleichbare Bildmotive. Wir machen uns jedoch nur selten klar, wie sehr journalistische Bilder unsere Welt definieren und uns darin beeinflussen, wie wir über andere Menschen denken. Diese Unbewusstheit macht Fotografie so wirkungsvoll.

Genderbias im Journalismus

Wie die Medien Vorurteile prägen

Geschlechtsstereotype beschreiben die Zuweisung bestimmter Merkmale und Eigenschaften zu Individuen nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe weiblicher bzw. männlicher Personen, ohne dass dabei berücksichtigt wird, dass Unterschiede innerhalb der Geschlechtsgruppen größer ausfallen können als Unterschiede zwischen ihnen.

Prof. Dr. Bettina Hannover

Freie Universität Berlin

Fotos im Journalismus

Journalistische Bilder gelten als „Zeugen“ einer Situation, sie werden als „wahr“ und „objektiv“ wahrgenommen. Aber erfüllen sie diese Erwartung? Können wir dem Fotojournalismus vertrauen?

Zeigen was ist, schön wär‘s

Seien wir ehrlich, Fotos spiegeln die Wirklichkeit nicht einfach wieder. Sie sind der Blick der Person, die sich im Moment des Fotografierens für Bildausschnitt, Bildsituation und Bildaussage entschieden hat.

Fotos erzeugen eine eigene Realität. Je öfter sich eine bildliche Situation vor unseren Augen wiederholt, desto mehr glauben wir, dass es wirklich so ist.

Grundvoraussetzung eines journalistischen Selbstverständnisses sollte die Überzeugung sein, dass Bilder nie einfach zeigen, was vorhanden ist.

Prof. Dr. Karen Fromm

Hochschule Hannover

Schieflage bei der Darstellung der Geschlechter

Die Kritik an Geschlechterstereotypen in der journalistischen Fotografie ist komplex und geht ins Detail. Sie lässt sich kategorisieren oder nach Themenbereichen beschreiben. Neben dem Offensichtlichen sind es aber auch Effekte durch Perspektive oder Bildausschnitt. Schließlich kann der Kontext des Fotos eine stereotypisierende Wirkung entfalten.

Die Realitätsvorstellungen und Identitätsangebote vom Geschlecht in den Medien liefern nicht nur ein verzerrtes Spiegelbild der Gesellschaft, sondern verfestigen im ungünstigsten Fall problematische Geschlechterbilder.

Prof. Dr. Elisabeth Prommer und Prof. Dr. Christine Linke

Universität Rostock, 2019

Marginalisierung
Frauen befinden sich am Bildrand oder im Hintergrund.
Männer machen sich breit, dominieren durch ihre körperliche Präsenz.

Trivialisierung
Frauen werden öfter im privaten als im beruflichen Umfeld dargestellt, selbst wenn es um das Thema Karriere geht.

Hierarchisierung
Männer zeigen auf etwas, sind aktiv.
Frauen hören zu oder schauen zu Männern auf.

Stereotypisierung
Frauen werden bei typisch weiblichen Tätigkeiten gezeigt, Männer bei typisch männlichen.

Sexualisierung
Der Blick fällt auf den Körper von Frauen, teils in sexualisierten Posen, ohne inhaltliche Notwendigkeit.
Gegenprobe: Männer in dieser Pose wirken lächerlich.

Die Vorstandsmitglieder der Veganz Group AG beim Börsengang

© Frank Rumpenhorst, Picture Alliance

Beobachtung in Medienthemen

Wirtschaft
Topmanager stehen frontal zur Kamera, bildfüllend und aufrecht, im Machtgestus.
Topmanagerinnen halten den Kopf leicht schief oder verdecken einen Teil ihres Gesichts.

Sport
Männer sind in sportlicher Aktion zu sehen, verschwitzt, emotional, kämpfend.
Frauen sind seltener bei ihrem Sport abgebildet, eher am Spielfeldrand oder sexualisiert in knapper Sportkleidung.

Handwerk
Männer arbeiten konzentriert mit Blick auf ihr Werkzeug.
Frauen lächeln in die Kamera während sie so tun, als würden sie mit Werkzeug arbeiten.

Prostitution
Der Freier ist nie zu sehen.
Die Prostituierte wird hypersexualisiert präsentiert.

© Screenshot Facebook vom 13.12.2016

Diskriminierungsfrei fotografieren:
Den Blick schärfen

Geht es auch anders? Bestimmt, wenn sich alle Beteiligten Mühe geben. Mit einem genaueren Blick für das, was sich tatsächlich abspielt: Wenn wir uns von vorgefertigten Schablonen der Wahrnehmung lösen, Gender-Bias und den eigenen Sexismus hinterfragen, Intersektionalität und Diversität beachten. Öffnen wir unsere Augen für die Vielfalt und arbeiten an einem realistischen Bild von Frauen.

Bildercheck

Hilfreiche Leitfäden und Checklisten

Bilderkritik

… und Tipps für die Bildauswahl

Gleichberechtigung und Freiheit von Diskriminierung stehen als fundamentale Prinzipien im Grundgesetz.