Textlabor #13

Cybercrime gegendert

Gezeichnete Glaskolben wie aus einem Chemielabor weisen auf das Serviceangebot des Textlabors hin: Hier bespricht das Team Genderleicht knifflige Textfragen.

Wir erhielten eine Anfrage von einem Autor, der über IT-Sicherheit in Blogs und Newslettern schreibt. Er kam ins Grübeln: Sind das nur Männer, die sich im Internet kriminell betätigen? Nun will er seine Artikel gendern.

Ich finde keine „netten“ Überbegriffe für Betrüger, Ganoven oder Schurken. In meinen Texten geht es oft um „Hacker“ und „(Online-)Verbrecher“. Bleibt mir nur der Gap oder das Sternchen? Wie baue ich das bei den genannten Begriffen ein?

„Nett“ ist im Zusammenhang mit Kriminalität wohl nicht die passende Kategorie. Wer sich in fremde Computer einloggt, ist nicht „nett“, auch dann nicht, wenn es eine Frau wäre. Und dabei sind wir beim nächsten Punkt: Ja, es gibt auch Täterinnen im Bereich der Cyberkriminalität. Laut eines Berichts des Bundeskriminalamts (BKA) von 2015 wächst der Anteil von Frauen in der Szene sogar (vgl. S. 10). Zwar sind Männer weiter in der Überzahl, doch ist das ein Grund, nicht zu gendern?

Was hält Sie davon ab, bei Schurke, Betrüger und Ganove die weibliche Form zu verwenden? Schurkin, Betrügerin, Ganovin – die weibliche Form geht doch und richtet den Blick auf eine Gruppe möglicher Tatverdächtiger, die vorher kaum gesehen wurde: Frauen. Zwar haben auch wir zunächst gestutzt, doch der Duden kennt die „Schurkin“ und hält ein Angebot weiterer Synonyme bereit:

Banditin, Ganovin, Gaunerin, Halunkin, Räuberin, Verbrecherin, Übeltäterin

Bei all diesen Wörtern ließe sich Genderstern einbauen, z.B. als Betrüger*in oder auch Hacker*in. Das Genderzeichen kommt zwischen die männliche Bezeichung bzw. den Wortstamm und die weibliche Endung -in oder -innen. Sie können genausogut den Gender-Gap einsetzen. Er wird inzwischen jedoch seltener verwendet, weil er unpraktisch ist: Bei Unterstreichung durch Linksetzung ist er nicht gut zu erkennnen. Wenn Sie Genderzeichen setzen, geben Sie das Signal, dass sich nicht nur Frauen und Männer, sondern auch trans-, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen als Hacker*innen betätigen könnten.

Ohne Genderzeichen kommen Sie bei geschlechtsneutralen Wörtern aus. Unser Favorirt sind „die Cyberkriminellen“. Erst wenn Sie im Singular einen Artikel dazusetzen, wird das Geschlecht markiert: Der Kriminelle oder die Kriminelle. Ansonsten raten wir: Beschreiben Sie die Tätigkeit, verwenden Sie Verben und widerstehen Sie dem Automatismus, aus einer Handlung eine Art Berufsbezeichnung zu machen.

Beim Gendern sollten wir uns immer fragen: Wie ist die Rolle von Frauen und Männern tatsächlich?

In Ihrem Fall: Gibt es im Bereich der IT-Sicherheit ausschließlich Männer, die anderen auf kriminelle Art schaden? Interessanterweise spielen uns die Bilder einen Streich, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben: Wenn das Fernsehen über Hacker berichtet, dann sitzt im angeblich blauen Widerschein eines Computerbildschirms ein junger Mann im Hoodie; über die Tastatur gleiten Männerhände. So entstehen Vorurteile, auch Geschlechtsrollenstereotype genannt, und wir denken, klar: Cyberkriminelle sind Männer.

Andererseits kennen wir aus Filmen wie „Verblendung“ die Hackerin Lisbeth Salander. Oder im Borowski-Tatort trumpft die Kommissarin Sarah Brandt, gespielt von Sibel Kekilli, zur Lösung des Falls mit ihren IT-Fertigkeiten auf. Herkömmliche Filmdramaturgie schreibt nerdigen Frauen eine exotische Rolle zu. Und das, obwohl bei den Digital Media Women e.V. über 24.000 Frauen organisiert sind. Anders als Männer sind sie nur nicht so sichtbar – und nicht so kriminell.

Passend dazu haben wir die Website „10 notorious female hackers“ entdeckt. Hier sind zehn Frauen genannt. Wieviele mehr gibt es tatsächlich? Wer immer nur von Hackern spricht, wird gar nicht erst versuchen, es heraus zu finden. Das Gute am Gendern ist: Es holt uns aus Routinen  und festgefahrenen Begrifflichkeiten raus. Gendersensible Texte verändern den Blickwinkel und zeichnen sich durch eine erweiterte Recherche aus.

Wir setzen  auf Sie, dass Sie sich in die Spur begeben. Berichten Sie doch mal über neuere Erkenntnisse zum Thema weibliche Cyberkriminalität! Ansonsten, vielen Dank, dass Sie über Differenzierungen zu männlichen und weiblichen Anteilen in Ihren Texten nachdenken.

Gruß vom IT-affinen Team Genderleicht

Linktipps:
BKA-Studie: Täter im Bereich Cybercrime
Netzpolitik.org: Hacktivismus und Cyberstraftäter
Textlabor #29: Täter und Täterinnen

Rat und Expertise

Mitten im Sprachwandel gab es viele Fragen zum geschlechtergerechten Schreiben und Sprechen. Das Team Genderleicht hat während der ersten Projektphase 2020/21 viele Zuschriften beantwortet. Wir haben fachlichen Rat recherchiert und uns am allgemeinen Sprachgefühl bei unseren Anregungen und Empfehlungen orientiert. Wir finden: Zum Gendern ist alles gesagt. Eine Antwort auf Ihre kniffelige Frage finden Sie bestimmt im Textlabor.