Neue Bildsprache für Frauenhäuser

von | 1. November 2023 | Bildermächtig

Blick von außen durch ein Fenster eines Frauenhauses. Drinnen steht eine junge Frau, sie hält ein Baby. Sie sieht nachdenklich aus. In der Fensterscheibe spiegelt sich ein weiteres Haus.

Neue Bildsprache für den Schutzort Frauenhaus: Stimmung für das Foto nachgestellt mit Model und Kind
© Celina Löschau, Fotopool „Empowering Connections“ CC BY-NC 4.0

„Gute Nachrichten für die Frauenhäuser in Brandenburg“. So beginnt ein Artikel in einer Lokalzeitung. Es geht um eine neue Förderrichtlinie. Frauenhäuser sollen mehr Geld bekommen. Das Titelbild zeigt eine Frau, die zusammengekauert in einer Ecke sitzt. Ihre Arme verbergen das Gesicht, die Perspektive von oben verstärkt das Gefühl von Verzweiflung. Warum aber ist die Frau so unglücklich, wenn Frauenhäusern mehr Geld zur Verfügung gestellt wird?

Eine ähnliche Text-Bild-Schere hat beim Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg niemand gemerkt. Auf dem Foto zur Online-Meldung trauern Mutter und Kind gemeinsam über knapp eine Million Euro mehr zur Förderung von Frauenhäusern.

Maren Küster ist Koordinatorin für Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser e. V. und beobachtet die Bildauswahl in den Medien schon lange. Nicht immer widersprechen sich Bild und Text so klar wie in diesen beiden Beispielen. Aber auch große Medienunternehmen bedienen sich häufig schwieriger Bilder, wenn es um Berichte über Frauenhäuser oder Gewalt gegen Frauen geht.

„Es werden gefühlt immer dieselben drei Fotos genutzt,“ sagt Maren Küster. „Wenn ich eine Zeitung aufschlage, erkenne ich auf den ersten Blick, in welchen Artikeln es um häusliche Gewalt geht. Das führt dazu, dass die Menschen schnell weiterblättern und diese Berichte gar nicht erst lesen, vor allem, wenn es diese negativ konnotierten Bilder sind.”

In den Medien habe sich bei der Sprache schon einiges getan, erkennt Maren Küster an. In den Zeitungen lese sie in den letzten Jahren seltener verharmlosende Worte wie „Familiendrama“ oder „Beziehungsstreit“. Was sie kritisiert: Die Bildauswahl wird dabei jedoch selten mitgedacht.

Stereotype Bilder stigmatisieren

Eine Google-Suche zu Nachrichten zum Begriff „Frauenhaus“ unterstützt diesen Eindruck: Das wohl meistgenutzte Foto zeigt die Silhouette einer Frau, die allein in einem trostlosen Zimmer steht und aus dem Fenster schaut. Oft wird Gewalt in den Bildern sogar reproduziert: Eine Frau mit blauem Auge oder eine zusammengeballte männliche Faust sind typische Bildmotive.

Screenshot Suchmaschinenergebnis

Screenshot Suchmaschinenergebnis

Solche Fotos bedienen nicht nur Stereotype, sondern sind geradezu schädlich, erklärt Maren Küster: „Ein Großteil unserer Arbeit besteht darin, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, hinzuschauen. Wenn man jedoch nur diese abschreckenden Bilder hat, ist es nicht nur unpassend, sondern kontraproduktiv. Das sollten sich Bildredaktionen bewusstmachen. Bildauswahl ist nicht nur eine ästhetische Frage, sondern auch eine Frage von Verantwortung.“

„Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten“

Die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Christine Meltzer hat von 2015 bis 2019 die Berichterstattung deutscher Tageszeitungen in rund 3500 Zeitungsartikeln analysiert. Ihre grundlegende Studie im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung kritisiert die mediale Verzerrung der realen Gewaltverhältnisse.

Neue Bilder: Positive Stimmung zum Mutmachen

Dieser Verantwortung wird das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser gerecht. Auf Instagram bebildern sie ihren eigenen Beitrag über die neuen Förderrichtlinien mit zwei Frauen, die sich die Hände reichen und tanzen. Ein weiterer Beitrag über bezahlbaren Wohnraum zeigt eine Frau, die ein Kind umarmt. Geborgenheit und Nähe sprechen aus den Fotos. Sie gehören zu einem Fotopool gegen Gewalt an Frauen, der auf Initiative des Netzwerks gemeinsam mit der Neuen Schule für Fotografie Berlin entstanden ist.

Fotos ©Sonia Bialasiewicz, Fotopool „Empowering Connections“ CC BY-NC 4.0

Im Frauenhaus Schutz finden bedeutet auch, wieder Lebensmut zu fassen. Das Fotoprojekt hat eine neue Bildsprache entwickelt, die versucht, die Gefühlswelt der Betroffenen darzustellen: Positive Perspektiven und Stärke im Fokus.

Fotopool „Empowering Connections“

Die vier Studentinnen Sonia Bialasiewicz, Celina Löschau, Katrine Larsen Mosbæk und Laura Volgger haben im Rahmen ihres Kurses bei der Neuen Fotoschule alternative Bilder entwickelt. Die  entstandenen Fotos stellen sie unter der Lizenz CC BY-NC 4.0 zur Verfügung.

Wichtig war den Fotostudentinnen, in ihren Bildern nicht erneut eine Stigmatisierung als Opfer zu fördern, sondern positive Aussichten zu zeigen. Das Frauenhaus ist ein Schutzort und dient in erster Linie der Selbsthilfe. Wer sich Hilfe sucht, ist selbstermächtigt. Das sollen auch die neuen Bilder transportieren.

In Deutschland wird etwa jede vierte Frau mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder einen früheren Partner. Sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht, ist nicht leicht. Noch schwerer ist es, wenn die Bilder bei allen Informationen zum Thema eine Stigmatisierung als Opfer fördern. Die bisher verbreitete Bildsprache steht dem Anliegen, Partnerschaftsgewalt zu bekämpfen, entgegen. Gewalt ist jedoch kein unumkehrbares Einzelschicksal.

Fotos mit Stärke im Fokus

Das in anderen, neuen Bildern zu zeigen, war für die Studentinnen eine Herausforderung. Sonia Bialasiewicz stellt den Zusammenhalt unter Frauen in den Mittelpunkt ihrer Fotoarbeit: Zwei Frauen umarmen sich, tanzen miteinander und ja – dürfen auch lachen. Fröhliche Bilder stehen dem Anliegen von Frauenhäusern nicht entgegen.

Katrine Larsen Mosbæk setzt den Schwerpunkt ihrer Bilder auf die liebevolle Verbindung zwischen Mutter und Kind: „In meiner Fotoserie öffne ich unseren Blick für diese sehr besondere, enge und warme Verbindung – die zwischen einer Mutter und ihrem Kind. Aber nur eine Mutter, die in Sicherheit ist, kann für die Sicherheit ihres Kindes sorgen. Für bedrohte Mütter sind Frauenhäuser Orte, an denen sie wieder atmen, neu beginnen und ihre Sicherheit zurückgewinnen können.“

Angekommen in Sicherheit: Situation nachempfunden und nachgestellt mit Models

Ein etwa dreijähriges Kind mit braunen Locken schwebt über ihrer Mutter in der "Fliegerposition": sie ballanciert auf dem Rücken liegend das Kind auf ihren Füßen.

Fotos ©Katrine Larsen Mosbæk, Fotopool „Empowering Connections“ CC BY-NC 4.0

Auch Celina Löschau zeigt eine Mutter mit ihrem Kind. Bei ihr stehen jedoch Alltagssituationen im Vordergrund. Für ihre Bilder durfte sie mit Modellen in einem Frauenhaus fotografieren (siehe oben unser Startbild). Eine Möglichkeit, die nicht selbstverständlich ist. Die Standorte von Frauenhäusern sind zum Schutz der Frauen anonym.

Im Fokus der Serie von Laura Volgger stehen Empowerment und Stärke. Sie arbeitet mit Schwarzweißportraits und Forderungen, die auf die Haut der Modelle geschrieben wurden. Diese Forderungen stammen aus feministischen Kollektiven: „Protect us alive!“ oder auch „Liebe tötet nicht!“

Schwarz-weiß-Foto: Rückenansicht zwei Frauen haben die Arme um die Schultern gelegt. Auf den Unterarmen steht mit schwarzer Schrift: In sisters we trust

Auf die Haut geschrieben: mutmachende Slogans für gewaltbetroffene Frauen
©Laura Volgger, Fotopool „Empowering Connections“ CC BY-NC 4.0

Der Creative Fotopool gegen Gewalt an Frauen ist ein Anfang, er stellt neue Bildsprachen zum Thema Gewalt an Frauen zur Verfügung. Das Projekt wird durch eine begleitende Wanderausstellung aufrütteln und Aufmerksamkeit für das wichtige Thema schaffen.

Fotos zum Thema Femizid fehlen

Auf die Frage, welche Bilder im Pool noch fehlen, antwortet Maren Küster vorsichtig. Sie könne sich eine regelmäßige Zusammenarbeit mit Studierenden der Fotografie oder des Kommunikationsdesigns gut vorstellen. Abstrakte Bilder ohne Menschen könnten sich für einige Themen noch gut eignen. Wie ein Bericht über einen Femizid bebildert werden kann, bleibe zum Beispiel bisher offen.

In erster Linie ist sie aber erst einmal dankbar für die entstandene Arbeit, das Engagement der Studentinnen und die ersten Erfolge des Projektes. So hat der Berliner Tagesspiegel zwei der Aufnahmen für einen großen Artikel mit dem Titel „Frauenhäuser am Limit“ genutzt.

Portrait Katja Kemnitz

© privat

Katja Kemnitz

Gastautorin

Nach dem Studium der Germanistik hat sie ihre Leidenschaften Fotografieren und Schreiben einfach verbunden: Als freie Redakteurin arbeitet Katja Kemnitz für verschiedene Fotomagazine, produziert den Podcast des Female Photoclub und ist Content Creator für die Fotoagentur laif. Wenn sich neben all dem Aufgaben noch Zeit findet, nimmt sie auch selbst die Kamera in die Hand.

Tipps für Medienschaffende

Der 25. November ist der Tag gegen Gewalt an Frauen. Vor diesem Gedenk- und Aktionstag steigt das Interesse der Medien und damit auch die Zahl der Interviewanfragen. Manchmal sind Journalist*innen zu wenig in das Thema eingearbeitet und zeigen sich nicht gerade sensibel.

Die Teilnehmenden des 45. Herbsttreffens der Medienfrauen 2023 haben in einer Resolution an die Chefredaktionen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten einen besseren Umgang mit der Berichterstattung gefordert: „Gewalt gegen Frauen ist kein privates Thema.“ Die Resolution enthält detaillierte Hinweise.

Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) hat eine Linkliste mit wertvollen Informationen für die verantwortungsbewusste Berichterstattung zusammengestellt.

Sehr praktikabel ist dieser Ratgeber: Betroffenensensible Berichterstattung

In der Zeitschrift Journalist findet sich ein umfangreicher Leitfaden, zusammengestellt von einer Initiative von Investigativjournalistinnen: „Kein Familiendrama: Zur Berichterstattung über Femizide und den Umgang mit Überlebenden und Angehörigen“.

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