Textlabor #19

Alle Geschlechter mitmeinen

Gezeichnete Glaskolben wie aus einem Chemielabor weisen auf das Serviceangebot des Textlabors hin: Hier bespricht das Team Genderleicht knifflige Textfragen.

Gian ist 17 Jahre alt und Co-Leiter der Gleichberechtigungs-AG seiner Schule. Er hat viele Fragen ans Textlabor, die wir ihm gerne beantworten.

Beim Schulprogramm gab es das Problem, dass der Genderstern das Anschauungsbild etwas ungünstiger gemacht hat. Somit habe ich dem Lehrer vorgeschlagen, dass er am Anfang einen Vermerk einfügt, in dem steht: „Im Folgenden sind immer alle Personengruppen angesprochen“. Jetzt frage ich mich, reicht dass dann aus, auch wenn man in seinem Text dann nur noch die maskuline Form verwendet? Oder sollte man dann vielleicht einfach immer abwechselnd die weibliche und dann wieder die männliche Form nehmen? Und wie weist man dabei auf die nicht-binären Leute hin?

Guten Tag Gian,

was für eine tolle Initiative – eine Gleichberechtigungs-AG an der Schule. Wir sind begeistert! Wunderbar, dass Sie sich so tief hineinknien wollen in das Thema Gendern in Wort und Bild. Wir empfehlen Ihnen, nehmen Sie sich Zeit und beschäftigen Sie sich mit den Angeboten unserer Website. Sie werden viel lernen können und die Zusammenhänge deutlicher erkennen.

Die Seite Schreiben erklärt, warum es wichtig ist, den Genderstern zu benutzen. Auf der Seite Wissen finden Sie Studien, weiterführende Artikel, Sprachleitfäden, wie sie in Institutionen verwendet werden und vieles mehr. Im Wörterbuch erhalten Sie Definitionen für Begriffe, die wir bei Genderleicht benutzen, z.B. divers oder generisches Maskulinum. Klicken Sie auch mal den einen oder anderen Artikel im Textlabor an. Da bekommen sie ausgefeilte Antworten auf Fragen von Menschen, die wie Sie gendersensibel formulieren möchten. Außerdem können Sie dort unsere Technik verfolgen, wie wir uns mit Hilfe von fachlichen Quellen und unserer Spracherfahrung durch kniffelige Fragestellungen arbeiten.

Konkret zu Ihrer Frage: Das Schulprogramm ist vermutlich ein offizielles Schriftstück, das die Leistungen Ihrer Schule eingehend erklärt. Es sollte gut verständlich und einladend im Stil sein, die Schule will sich ja im guten Licht präsentieren. Da ist es zum Beispiel empfehlenswert, in einem Grußwort oder Intro klarzumachen, dass an der Schule, wie Sie es sagen: „Alle Personengruppen“ willkommen sind. Wir würden es deutlicher formulieren: „Alle Geschlechter sind willkommen“. Gerade junge Leute beschäftigen sich intensiv mit der Frage, bin ich Frau, Mann, trans* oder nicht-binär, oder eine der vielen anderen Geschlechtervariationen, und wen will ich lieben? Diese Fragen sind nicht neu, aber sie werden seit wenigen Jahren offener diskutiert, und das ist gut so. Eine Schule, die hierzu eine wertschätzende Haltung signalisiert, erfüllt im besten Sinne ihre Erziehungsaufgabe und zeigt sich verantwortungsvoll gegenüber allen Beteiligten: Schülerschaft, Kollegium und Eltern.

Sie fragen nun aber, ob nach einer Klarstellung, dass „alle Personengruppen“ gemeint seien, einfachheitshalber in der männlichen Form geschrieben werden könne. Nein. Ganz klar: nein.

Eine vorangestellte Erklärung oder auch mal Fußnote war für einige Jahre Usus, als: „Frauen sind mitgemeint“. Dies ist heute ein No-Go und wird nicht mehr empfohlen.

Schauen Sie in unsere Schreibtipps. Es gibt viele Möglichkeiten so zu schreiben, dass wirklich alle angesprochen werden. Formulieren Sie möglichst geschlechtsneutral und setzen Sie Ihre sprachliche Fantasie ein. Unsere Sprache ist so vielfältig, es gibt immer eine Variation, das Gleiche mit anderen Worten zu sagen.

Wie wäre es dann mit dem Genderstern? Nun, er macht eine erstaunliche Karriere und wird von Vielen als hilfreich angesehen. Er ist auch angebracht, wenn Sie in einer Kurzschreibung auf die Vielfalt der Geschlechter hinweisen wollen. Wir raten jedoch dazu, Genderzeichen sparsam einzusetzen. Aus vielerlei Gründen:

  1. Genderstern & Co. sind nur im Plural sinnvoll. Im Singular entsteht schnell grammatikalisches Chaos.
  2. Zu viele Genderzeichen behindern den Lesefluss.
  3. Hinsichtlich Barrierefreiheit sind Genderzeichen ausgesprochen problematisch¹.

Tipp: Verwenden Sie wenige Personenbeschreibungen und schreiben Sie vorzugsweise geschlechtsneutral. Ein Genderzeichen setzen Sie gezielt sparsam ein, um deutlich zu machen: Es geht Ihnen bei den genannten Personen um geschlechtliche Vielfalt.

Für den schulischen Bereich haben wir aus Textlabor #17 noch folgende Formulierungsvorschläge für Sie:

Schüler*innen: alle, die unsere Schule besuchen / wer hier die Ausbildung macht
Dozent*innen: Lehrkräfte / Lehrpersonal / alle, die Ihnen hier etwas beibringen
Unterstützer*innen: Menschen, die Sie oder eine wichtige Sache unterstützen
Direktor*innen: Schulleitung / Institutsleitung

Ihre andere Idee, abwechselnd eine männliche und eine weibliche Beschreibung zu verwenden, ist eine weniger gebräuchliche, aber durchaus charmante Schreibtechnik. Sie bringt uns beim Lesen zum Nachdenken, kann aber leider auch verwirren. Wenn es Ihnen auf die sichere Vermittlung Ihres Inhaltes ankommt, sollten Sie so korrekt und konkret wie möglich bleiben.

Viel Spaß beim Vertiefen der Genderfragen!
Team Genderleicht

¹Nachtrag: Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband bittet um einen sparsamen Gebrauch von Genderzeichen. Im März 2021 hat er sich bei Kurzformen für die Verwendung des Gendersterns  ausgesprochen. Den Gender-Doppelpunkt, der vielfach als barrierearme Alternative angesehen wird, hat er auf die Liste unerwünschter Genderzeichen gesetzt.

Rat und Expertise

Mitten im Sprachwandel gab es viele Fragen zum geschlechtergerechten Schreiben und Sprechen. Das Team Genderleicht hat während der ersten Projektphase 2020/21 viele Zuschriften beantwortet. Wir haben fachlichen Rat recherchiert und uns am allgemeinen Sprachgefühl bei unseren Anregungen und Empfehlungen orientiert. Wir finden: Zum Gendern ist alles gesagt. Eine Antwort auf Ihre kniffelige Frage finden Sie bestimmt im Textlabor.