Vertrau mir, ich bin Ingenieurin

von | 16. Juni 2021 | Gendern im Journalismus, Medienschau

Männer machen Technik. Solch ein Bild schleicht sich leicht in die Köpfe von Leserinnen und Lesern ein, denn: Wer ist zu sehen? Wer hat was zu sagen? Wer wird angesprochen? Und wer schreibt?

Bildet das die Realität ab? Journalistinnen und Journalisten stehen hier in der Verantwortung, sich zu erinnern, was sie am ersten Tag ihrer Ausbildung gelernt haben dürften: Neutralität!

Im Technikjournalismus geht es vor allem darum, Expertise und Know-how aus der Branche für die Branche zu zitieren und Einschätzungen zu Markt- und Technologie-Entwicklungen zu liefern. Wer ein Technikmagazin aufschlägt, hat meist selbst eine tiefe Kenntnis vom Geschehen und will auf dem Laufenden bleiben, mit Fachbeiträgen zu neuen Technologien oder Interviews von Menschen aus anderen Firmen. Fachmagazine sind immer auch Austauschplattformen, auch mit zusätzlichen Veranstaltungen, Messen, Workshops. Und wer steht auf der Bühne? Wer ist im Titelbild zu sehen? Wer sagt etwas? Mit großem Abstand meist Männer: Ingenieure, Entwickler, Geschäftsführer.

 

Gendern im Technikjournalismus

Der Fachkräftemangel, insbesondere in technischen Berufen, drängt genügend Initiativen auf den Plan, Frauen in derlei Berufe zu bringen. Wäre es da nicht leichter, die bereits vorhandenen Vorbilder zu zeigen? 

Es gibt immer auch eine Expertin

Für jedes Fachgebiet und auf jeder – naja fast jeder – Stufe lässt sich ganz sicher eine Frau finden. „Ich sollte mich immer fragen: Wie kann ich eine Frau in die Geschichte einbinden?“ sagt Miriam Leunissen, PR-Expertin für Technikkommunikation. „Ich kann immer in der Firma, von der ich ein Statement haben möchte, explizit nach einer Branchenkennerin fragen und den Text ausgewogen schreiben“, erklärt sie. Diesen Expertinnen sollten dann die gleichen Fragen gestellt werden wie den Männern. Ein guter Text stellt nicht die Weiblichkeit, sondern die Expertise in den Vordergrund. Doch das ist nicht immer leicht: Oftmals schlagen Unternehmen Männer als Sprecher vor, die dafür auch geschult wurden. „Mehr Frauen, die sich zeigen wollen, wären gut“, sagt Martina Gruhn, Inhaberin der Agentur Werte leben & kommunizieren. „Das ist aber auch die Verantwortung der Firmen. Die könnten genauso aktiv Frauen zu guten Sprecherinnen schulen, wie sie es den männlichen Mitarbeitern anbieten.“ 

Und so geht‘s

Die Wochenzeitung VDI-Nachrichten hat sich die gendergerechte Darstellung im Technikjournalismus auf die Fahnen geschrieben. „Das fängt bei der Frage an, wen will ich interviewen? Und hört bei der Bildsuche noch nicht auf“, erklärt Ressortleiterin Regine Bönsch. Gemeinsam mit dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) wurde ein Leitfaden entwickelt, der überall in der Kommunikation der Gruppe umgesetzt werden soll. Gendern spiegelt sich nicht nur in Print- und digitalen Beiträgen wider: „Wir legen heute schon Wert darauf, dass externe Autoren und Autorinnen möglichst zu gleichen Teilen zu Wort kommen.“

Das Branchenportal elektroniknet.de hat Frauen in einer noch laufenden Serie sichtbar gemacht: Corinne Schindlbeck, Redakteurin beim Magazin „Markt und Technik“ hatte einen Brief einer Leserin erhalten, die sie darauf aufmerksam machte, dass in einer Ausgabe keine einzige Frau zu sehen war. Die Leserin, selbst in einem Technikberuf, war sich sicher, es gebe Frauen in Elektronik-Berufen, über die berichtet werden könnte. „In der Tat finde ich auch, dass wir Medienschaffende es uns manchmal zu einfach machen mit der Ausrede, dass es zu wenige Frauen gebe. Was allerdings stimmt: Sucht man Frauen auf Top-Ebene, wird es sehr dünn“, sagt Schindlbeck. Also hat sie die Serie „#WomeninTech – Markt & Technik zeigt die Role Models aus der Elektronik“ gestartet und inzwischen über 30 Frauen porträtiert – weitere sollen folgen. Die Resonanz ist bislang positiv: „Ich bin selbst überrascht. Es zeigt sich, dass es wirklich wichtig ist, den Frauen in der Elektronik ein – ganz wichtig: authentisches! – Gesicht zu geben. Nur so werden junge Frauen auf unsere spannende Branche aufmerksam und erkennen die eine oder andere vielleicht als Vorbild für sich.“ 

Frauen in Technikberufen sichtbar machen, aber nicht als etwas Besonderes herausstellen

Es sind Beispiele, wie Medienschaffende Frauen mehr Sichtbarkeit geben können. Eines sollten sie dabei immer beachten: Wenn Frauen in Berichten zu Wort kommen oder präsentiert werden, sollte geradeheraus beschrieben werden, was sie tun. Denn ihre Expertise ist gefragt, nicht ihr Geschlecht. Es sollte nicht als etwas Besonderes dargestellt werden, dass eine Frau in einem bestimmten Beruf oder auf einer bestimmten Ebene arbeitet. Bei Männern genauso wenig. 

Die Verantwortung der Medienschaffenden

Qualitätsjournalismus hat den Anspruch sorgfältig, sachlich, unparteilich, ausgewogen und unabhängig die Realität widerzuspiegeln. Gendern bedeutet, präzise zu sein und das Geschlechterverhältnis eingehend zu betrachten. Die Entwicklung zu einer inkludierenden Medienwelt bleibt nicht bei Korrekturen der Sprache stehen, sondern geht viel weiter: Sprache ist dabei ein Instrument. Die Bildauswahl und die richtige Person zum Thema zu befragen, sind weitere. Hinzu kommt, Diversität in den Redaktionen selbst zu schaffen. 

Wir lernen nie aus

Besonders im Technikjournalismus haben wir Medienschaffende gute Einblicke in die Trends von morgen: Immerhin entwickelt sich die Tech-Branche immer schneller. Diesen Einfluss macht sich beispielsweise Apple zunutze, im jüngsten Fall zugunsten des Genderns.

Ohne eine laute Ankündigung wird es im Betriebssystem iOS 15 das „grammatical gender agreement“ geben: Neben männlichen und weiblichen Personen-Emojis steht auch eine weitere Option zur Verfügung – nämlich genderneutrale Emojis von Personen. Zudem sollen die Anreden und Formulierungen unter iOS 15 genderneutral mittels Doppelpunkt formuliert werden.

Also sollte doch der Journalismus und insbesondere der Technikjournalismus sich solche Beispiele zum Vorbild nehmen und alle Menschen ansprechen – und über alle Menschen schreiben. Sprache beeinflusst unser Denken und Handeln. Wir Journalistinnen und Journalisten haben eine Verantwortung. Wir müssen nur wollen.

 

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Gender2Technik zeigt mit praktischen Beispielen, wie geschlechtergerechter Journalismus für die Technikbranche aussehen kann: Technik-Berichterstattung im Gendercheck

 

Portrait: Selinah Doulah hält eine Kamera in der Hand und lacht

Selina Doulah

Gastautorin

Sie studierte Technikjournalismus und stellte schnell fest, dass das Themengebiet viel zu bieten hat. Schließlich stecken hinter jeder Technologie, jeder Firma und jedem Start-Up Menschen mit Leidenschaft und Antrieb. Genau solche Menschen faszinieren Selina Doulah.

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