(Keine) Bildsprache bei behinderten Frauen?

von | 11. September 2024 | Bildimpulse

Kleinwüchsige Fotografin steht auf einer Trittleiter und fotografiert zwei Frauen

Inklusiv fotografieren: Wenn Menschen mit Behinderungen die Bildgestaltung mitbestimmen
Foto © Andi Weiland, Gesellschaftsbilder

Denke ich als behinderte Frau und Journalistin an meine Jugend zurück, kann ich mich an kein einziges weibliches Vorbild mit einer Behinderung erinnern. In den Medien fand einfach keine Repräsentation statt. Social Media befand sich in den 2000er Jahren auch noch in den Kinderschuhen und konnte mir keine Plattform bieten. Daher lege ich bei meiner journalistischen Arbeit besonders großen Wert darauf, möglichst diverse Interviewpartner*innen zu finden. Ebenso wichtig ist mir die Bildauswahl.

Suche ich heutzutage gezielt nach Bildern zu behinderten Frauen, hat sich die Situation zwar verbessert. Sie bleibt aber ernüchternd. Es gibt noch viel Luft nach oben.

Die meisten Artikel, in denen behinderte Frauen vorkommen, handeln von Ableismus oder sind Erklärungen, wie es sich mit einer bestimmten Behinderung lebt. Die Themen rund um Ableismus betreffen vor allem das statisch höhere Risiko, in Beziehungen Gewalt zu erfahren oder arbeitslos zu sein. Oder es geht um fehlende Barrierefreiheit und damit einhergehende Diskriminierung.

Wie werden Frauen mit Behinderungen visuell dargestellt?

Oft werden private Fotos verwendet. In der Lokalpresse werden schon eher mal Portraitaufnahmen gemacht, die zum Artikel passen.

Ältere Frau im Elektrorollstuhl sitzt auf einer Einkaufsstraße. Sie schaut in die Kamera, auf ihrem Schoß liegt ihre Handtasche, sie hälte ein Tablet in der Hand.

Screenshot Weser Kurier, 6.11.2019
Foto © privat

Hinter einer leicht spiegelnden Glastür: Zwei Chefinnen unterhalten sich angeregt

Screenshot WAZ, 14.6.2021
Foto © Michael Dahlke, Funke Foto Services

Besonders negativ empfinde ich eine Bildsprache, die behinderte Frauen objektiviert. Entweder wird ein großer Ausschnitt ihrer Hilfsmittel, insbesondere der Rollstuhl, gezeigt oder medizinische Geräte. Oder die Frau wird ohne Kopf abgebildet.
Ältere Frau im Elektrorollstuhl sitzt auf einer Einkaufsstraße. Sie schaut in die Kamera, auf ihrem Schoß liegt ihre Handtasche, sie hälte ein Tablet in der Hand.

Screenshot RND, 26.9.2023
Foto © Patrick Pleul, dpa-Zentralbild/dp

Auf einem Rollstuhl sitzt eine Schwangere, sie hat das Krankenhaus-Hemd hochgeschoben, so dass ihr nackter Babybauch zu sehen ist. Ihr Kopf ist nicht zu sehen.

Screenshot MDR Wissen, 29.5.2024
Foto © Imago/Tetra Images

Als negativ empfinde ich es, wenn behinderte Frauen passiv gezeigt werden, etwa wenn sie von einer Assistenzkraft im Rollstuhl geschoben werden, und alte, eher pflegebedürftige Frauen bemitleidenswert wirken.
Winter: eine jüngere Frau schiebt eine ältere Frau im Rollstuhl. Sie sind von hinten fotografiert.

Screenshot Frankfurter Neue Presse
Foto © Britta Pedersen, Archiv

Screenshot Foto Gegenlicht: eine Helferin reicht einer alten Frau ein Glas Wasser in einer Küche

Screenshot Allgäuer Zeitung. 24.6.2024
Foto © Monika Skolimowska, dpa

Schade finde ich es auch, wenn Menschen mit Behinderungen nur von hinten fotografiert werden. Das passiert, wenn es darum geht, die Anonymität zu schützen.

Oder wenn es ein Symbolbild ist, und die Abgebildeten mit dem Inhalt des Artikels nichts zu tun haben. Das Bild links stellt wenigstens über das Wort „Symbolbild“ klar, dass dies nicht die Frau ist, die im Text portraitiert wird. Das Foto rechts bebildert einen Artikel zum Kinderwunsch von Frauen mit Behinderung, im Rollstuhl sitzt aber erkennbar ein Mann.

Screenshot Foto: Junge Frau kniet mit einer Beinprothese und bindet sich am gesunden Fuß den Sportschuh zu.

Screenshot Merkur.de, 3.9.2023
Foto © Ignazio Ferrandiz Roig, imago-images

Ein Kind steht vor einer Pfütze. Daneben ein  Mann im Rollstuhl, auf der Lehne eine Frau, er umarmt sie. Alle sind von hinten fotografiert.

Screenshot Süddeutsche Zeitung, 5.3.2012
Foto © Catherina Hess

Stockfotos von Frauen mit Behinderung, wo sind sie?

Es stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt passende Stockfotos und wo finde ich diese?

Blick in die Fotoagenturen

Bei meiner Suche in Bildagenturen unter dem Schlagwort „behinderte Frau“ sind meine Ergebnisse sehr kurios. Teils werden mir erst gar keine Fotos von behinderten Frauen angezeigt. Oder mein geübtes Auge als Teilzeitrollstuhlfahrerin erkennt, dass nichtbehinderte Models in Krankenhausrollstühle gesetzt wurden.

Ansonsten ist die Auswahl überwiegend eine Aneinanderreihung von verschiedenen nationalen und internationalen Stockfotos. Bei den hochwertigen, seriösen Agenturen ist die Auswahl größer, aber noch nicht umwerfend.

Was ist problematisch an Stockfotos von Frauen mit Behinderung?

Stockfotos werden nicht für einen bestimmten Artikel produziert, sondern auf Vorrat. Sie zeigen allgemeingültige Motive zu verschiedensten Motiven. Fotograf*innen produzieren auf eigene Kosten Fotos, die sie Fotoagenturen zum Verkauf anbieten. Um den Prozess besser nachvollziehen zu können, habe ich mit drei Expert*innen gesprochen.

Wiederholung von Klischees

Behinderte Menschen werden noch nicht als Personengruppe wahrgenommen, die abgebildet werden muss. Hier liegt das Risiko für die Stockfotografie, wie Andi Weiland, Fotograf und Projektleiter der alternativen Fotoagentur Gesellschaftsbilder berichtet: „Als Stock-Fotograf*in versuchst du, so allgemeingültig wie möglich zu bleiben, damit du im besten Fall ein Bild erzeugst, was von ganz vielen Leuten gekauft wird. Das führt dazu, dass da sehr, sehr viel mit Klischees gearbeitet wird, oder dass Sachen übertrieben werden.“

Unsensible Fotoproduktion

Del Keens, Gründer von Misfit Models, betreibt seit 2012 in Deutschland eine Agentur, die Models vermittelt, die nicht den gängigen Vorstellungen von Norm und Schönheit entsprechen, also auch behinderte Frauen. Auch Keens hat schon beobachtet, dass nichtbehinderte Models in Krankenhausrollstühle gesetzt werden, um eine Rollstuhlfahrerin zu „spielen“.

Ein großes Problem sieht Keens darin, dass Produktionsfirmen keine Vorstellung von inklusiven Produktionsbedingungen für behinderte Models haben. Beispielsweise buchte ein Unternehmen ein Model im Rollstuhl. Für das Fotoshooting buchte es dann aber kein barrierefreies Studio. Oft wird auch nicht daran gedacht, barrierefreie Taxifahrten einzuplanen.

Probleme mit Bildrechten

Keens Models entscheiden selbst, welche Aufträge sie annehmen wollen und zu welchen Konditionen. Von der Zusammenarbeit für die Produktion von Stockfotos rät der Agenturbetreiber allerdings ab: „Es ist wäre zwar möglich, damit gutes Geld zu verdienen, ein paar tausend Euro, aber es stellt sich die Frage, wo das Foto gezeigt wird. Das könnte beispielsweise ein denkwürdiger politischer Hintergrund sein, was das Model ablehnt.“ Er rät dazu, die Vertragsklauseln sorgsam zu beachten. Viele große Marken wollen auch nicht, dass ihre Models schon für ähnliche Marken das Werbegesicht sind.

Eine Gruppe von fünf jungen Leuten schauen auf das Display der Fotografin Anna Spindelndreier bei einem Foto-Workshop

Die Fotografin Anna Spindelndreier bei einem Workshop zu Inklusion und Bildsprache an der TU Dortmund 2022
Foto © Andi Weiland, Gesellschaftsbilder

Gefahren für die Models

Anna Spindelndreier ist eine kleinwüchsige Fotografin mit Schwerpunkt auf behinderte Menschen. Sie macht auf den hohen Wiedererkennungswert von behinderten Menschen aufmerksam, die sich für Fotodatenbanken fotografieren lassen. „Wird das Foto beispielsweise für ein Thema in einem Artikel verwendet, das nicht so positiv behaftet ist, kann dies im schlimmsten Fall für die abgebildete behinderte Frau selbst zu einem Shitstorm führen. Sie wird erkannt und kann nicht in der Masse verschwinden“, warnt die Fotografin.

Fehlende finanzielle Ressourcen

Anna Spindelndreier wollte bereits eine Stock-Fotoreihe produzieren. Bisher scheiterte sie daran, Models zu finden, und auch an den finanziellen Kosten, da sie für die gesamte Produktion in Vorkasse gehen muss. „Ich könnte Ideen für zehn Stockbilder-Welten auf den Tisch hauen, die ich gerne sofort machen würde. Aber auch ich habe Ausgaben und muss Einnahmen generieren“. Daher kommen bei Spindelndreier Stockfotos eher zufällig zustande, wenn sich bei kommerziellen Produktionen die Möglichkeit ergibt, zusätzliche Bilder zu machen.

„Ich habe vorletztes Jahr bei der Fotoagentur Getty Images für eine Serie den dritten Platz eines Fotopreises gewonnen. Dabei ging es um Stockbilder über Menschen mit Behinderung. Die Serie war eine freie Arbeit, die ich bereits fertig hatte. Das war schon ein kleiner Erfolg“.

Positives Beispiel: Gesellschaftsbilder

Ein Vorbild für die Entwicklung einer klischeefreien Bilddatenbank über behinderte Menschen ist das Medienprojekt Gesellschaftsbilder. Es ist Teil von Sozialheld*innen e.V.. Der ehrenamtliche Projektleiter Andi Weiland und Mitarbeitende der Sozialheld*innen betreuen die Datenbank, die Abwicklung der Lizenzierung und Finanzierung des Projekts. Die Fotos liefert ein Netzwerk von freien Fotograf*innen, wie beispielsweise Anna Spindelndreier.

Sensibilität ist Andi Weiland wichtig: „Wer Fotograf*in für Gesellschaftsbilder sein will, muss eine bestimmte Sensibilisierung wie eine Weiterbildung nachweisen können. Dann können wir guten Gewissens sagen, dass die behinderten Models während des Fotoshootings bei diesen einen Safe Space vorfinden. Und die Fotograf*innen wissen, wie sie mit ihnen kommunizieren sollen“, erklärt Weiland. Dazu gehört es nachzufragen, wie die Models dargestellt werden wollen und keine Fragen zur Behinderung zu stellen, wenn dies nicht für das Foto notwendig ist.

Tipps für bessere Bilder von Menschen mit Behinderungen

Der Mensch im Mittelpunkt

Im Fokus des Fotos soll der Mensch stehen, nicht die Behinderung.

Portraitfoto einer kleinwüchsigen Frau an ihrem Schreibtisch

Foto © Jan Haas, dpa/Picture Alliance

Aktiv statt passiv

Behinderte Frauen sollten als aktive Personen gezeigt werden, am besten in Interaktion mit anderen Menschen und nicht alleine und passiv.

Zwei Tänzerinnen in roten Kleidern. Eine hat das Down Syndrom

Foto © Daniela Buchholz, Gesellschaftbilder

Authentische Hilfsmittel

Hilfsmittel sollten authentisch sein, so wie Menschen mit Behinderung sie benutzen.  Ein Krankenhausrollstuhl zeigt das Falsche. Hilfsmittel sollten nie stellvertretend für eine Person abgebildet sein. Das ist Objektifizierung. Sie sollten auch nicht im Mittelpunkt des Fotos stehen.

Frau mit Hut fährt mit ihrem Elektrorollstuhl und einm Blindenhund spazieren

Foto ©Andi Weiland, Pfotenpiloten e.V. / Gesellschaftsbilder

Sichtbarkeit

Unsichtbare Behinderungen können durch das Abbilden eines Blindenstocks bei Blindheit, eines Cochlea Implantats bei Gehörlosigkeit oder eines Fidget Spinners bei Autismus sichtbar gemacht werden.

Eine Frau mit schwarzer Sonnenbrille steht auf deinem Parkweg. Sie hält einen Blindenstock in der Hand und telefoniert.

Foto © Anna Spindelndreier, helloyou.studio | Gesellschaftsbilder

Barrierefrei & inklusiv

Fotograf*innen sollten ihre Arbeitsroutinen beim Fotografieren an die Anforderungen des behinderten Models anpassen: barrierefrei und mit sensibler Kommunikation.

Fotostudio: Junge Frau mit langen Haaren sitzt mit Meerjungfrauen-Flossen im Rollstuhl

Screenshot Ostseezeitung 20.9.2020,
Foto © Fabian Kirchner

Alltagssituationen

Eine gute Idee: Artikel über Lifestyle, Mode, Familie, Mutterschaft, Arbeitsleben oder Umfragen auch dann mit behinderten Frauen bebildern, wenn es nicht um Themen rund um Inklusion und Behinderung geht.

In einem Biergarten sitzen drei Frauen. Eine hat eine schwarze Armprothese

Foto ©Andi Weiland, Gesellschaftsbilder

Konstruktive Ansätze brauchen Förderung

Derzeit stehen neue Fotoshootings für Gesellschaftsbilder an. Andi Weiland stellt selbstkritisch fest, dass die Auswahl an Fotos zu Themen wie Arbeit, Schule oder Familie mit Behinderung in ihrer Datenbank größer sein sollte.

Problematisch ist die Finanzierung, da eigene Fotoproduktionen mit Kosten als Vorleistung verbunden sind. „Daher müssen wir darauf warten, dass uns Leute beauftragen oder uns dafür Geld geben. Es ist leider kein Projekt, das Gewinn abwirft, sondern eher eines, in das sehr, sehr viel rein investiert wird, damit es in dem Bereich überhaupt Fotos gibt. Das ist wichtig zu verstehen, warum wir manche Bilder einfach nicht haben“, erklärt Weiland.

Anna Spindelndreiers Fotos für Gesellschaftsbilder entstehen oft bei einem anderen Auftrag, weil es für die Erstellung von Stockfotos bisher kaum Honorar gibt. „Meistens fallen Bilder bei anderen Jobs herunter, die ich dann für Gesellschaftsbilder nutze“. Ihr fehlt die Regelmäßigkeit.

Ebenso betont Spindelndreier den großen Arbeitsaufwand, eine Fotodatenbank zu führen. „Du musst die Bilder sichten, du musst sie verschlagworten, du musst mit den Leuten verhandeln, die die Bilder kommerziell nutzen wollen. Das ist ein Fulltime-Job, wenn du es richtigmachen möchtest“. Der Ansatz bei Gesellschaftsbilder stimmt, aber es fehlen die Ressourcen zur breiten Umsetzung.

Daher wäre dringend eines nötig, um die Repräsentation von behinderten Frauen in Form von Bildern in den Medien zu stärken: gezielte Fördergelder, um bereits bestehende Projekte weiterzuentwickeln und fortzusetzen.

Kleinwüchsige Frau mit dunklen Haaren und Brille sitzt auf ihrem Laufrad und hält eine Fotokamera in den Händen.

© Kurt Steinhausen

Andrea Schöne

Gastautorin

wollte Behinderung eigentlich nie zu ihrem beruflichen Schwerpunkt machen. Die Journalistin und Moderatorin gibt dennoch Workshops zur klischeefreien Berichterstattung über behinderte Menschen. Als Stipendiatin des Media Lab Bayern recherchierte sie 2021, wie Podcasts für Menschen mit Hörbehinderung zugänglicher werden können. Ihr geballtes Wissen verewigte Andrea Schöne 2022 in ihrem Buch „Behinderung und Ableismus“.

Schönheitsnormen

Lookismus bei Behinderung

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