Die Bebilderung von „Catcalling“ ähnelt dem Inneren eines Lifestyle Magazins. Gut belichtete, bunte Bilder zeigen Menschen mit ausdrucksstarker Mimik. Verzweifelt suchen Schreibende nach Bildern zum Thema. Als Notlösung greifen sie offensichtlich auf Stockbilder zurück, die kitschiger und unpassender nicht sein könnten. Seit nicht allzu langer Zeit sprechen wir endlich über verbale sexuelle Belästigung. Um diese jedoch abzubilden fehlt es an Bildern.
Sexismus beim Bebildern
August 2020 habe ich eine Petition gestartet, die die Strafbarkeit von verbaler sexueller Belästigung fordert. Mehr als 69.000 Menschen unterstützen dieses Anliegen mit ihrer Unterschrift. Die Kampagne sorgte für eine breite Debatte in den Medien: Vom Radio über die großen Medienhäuser und Lokalzeitungen bis zum Fernsehen – alle berichteten über „Catcalling“, also über nicht-tätliche sexuelle Belästigung. Die Bebilderung dieser Berichterstattung bleibt oft nichtssagend, ein Mittel zum Zweck. Tatsächlich aber lohnt sich ein genauer Blick auf die Art und Weise, wie wir das Unsagbare bebildern. Denn die Bilder, die wir in Zusammenhang mit verbaler sexueller Belästigung stellen, haben größeren Einfluss als man meinen könnte.
Was ist Catcalling?
Der aus dem Englischen stammende Begriff Catcalling wird verwendet, um sexuelle Belästigung ohne Körperkontakt zu beschreiben. Darunter fallen anzügliche Bemerkungen, sexuelle Beleidigungen, sexuelle Aufforderungen, Hinterherpfeifen, Verfolgen, Anstarren, Kuss- und Pfeifgeräusche.
Es gibt viele weitere Formen der sexuellen Belästigung, die ohne Körperkontakt auskommen, wie beispielsweise sexuelle Nachrichten, Bilder oder Social Media Kommentare. Diese können alle unter dem Überbegriff nicht-tätliche sexuelle Belästigung zusammengefasst werden.
Ich sehe was, was du nicht schriebst
Texte benötigen Bilder, um Aufmerksamkeit für das Thema zu wecken. Die Lesenden sollen schnell erkennen, worum es inhaltlich geht. Um dieser Funktion gerecht zu werden, basieren Bilder häufig auf Stereotypen. Die Vereinfachung durch Stereotype kann dazu führen, dass Bilder gar nicht mehr das abbilden, was im Text beschrieben wird. Es entsteht eine Text-Bild-Schere. Das mag weniger problematisch sein, wenn es um den neuen Stand am Gemüsemarkt geht. Einflussreicher wird die Bebilderung eines journalistischen Textes jedoch, wenn es um Themen wie etwa sexuelle Belästigung geht.
Das Problem mit verbaler sexueller Belästigung
Verbale sexuelle Belästigung ist in Deutschland nicht strafbar. Es gibt zwar einen Straftatbestand für Beleidigungen, § 185 Strafgesetzbuch (StGB). Dieser schützt das Rechtsgut Ehre. Sexuell belästigende Aussagen aber zielen seltener auf die Ehre als vielmehr auf die sexuelle Selbstbestimmung. Diese ist im Grundgesetz indirekt verankert und schreibt jedem Menschen das Recht zu, selbst bestimmen zu dürfen, wann, wo, wie, mit wem und ob überhaupt man mit einer anderen Person in sexuellen Kontakt treten möchte. Das gilt natürlich auch für sexuell konnotierte Gespräche. Verbale sexuelle Belästigung ist aber oft nicht beleidigend. Damit ist § 185 StGB für die Strafbarkeit von verbaler sexueller Belästigung in vielen Fällen unbrauchbar.
Gottseidank findet sich im Strafgesetzbuch dann aber noch ein ganzer Straftatbestand für sexuelle Belästigung. Könnte man meinen. Dieser bezieht sich allerdings auf tätliche Belästigungen und nicht auf Äußerungen, Gesten, sexuelle Bilder oder Nachrichten. § 184i im Strafgesetzbuch umfasst das, was mit Anfassen geschieht. Betroffene von nicht-tätlicher sexueller Belästigung sind mit diesem Rechtsschutz also schlecht beraten. Wir haben eine Lücke im Strafrecht.
Catcalling, ein griffiger, aber beschönigender Begriff für nicht-tätliche sexuelle Belästigung, hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebensgestaltung und die psychische Gesundheit der Betroffenen: Menschen, die ständige Objektifizierung erleben, neigen dazu, sich öfter selbst zu objektifizieren. Dies führt dazu, dass Betroffene chronisch ihren Körper und ihr Aussehen überwachen und/oder Anzeichen von Depressionen und Essstörungen zeigen. Dazu kommt, dass Betroffene bewusst oder auch unbewusst gewisse Orte vermeiden, gewohnte Routen ändern und andere Verkehrsmittel nutzen.
Die Thematik ist besonders in Deutschland noch wenig erforscht. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachen erhob im Jahr 2021 erstmals Daten zum Thema, die zeigen, dass besonders Frauen und queere Menschen von nicht-tätlicher sexueller Belästigung betroffen sind. 3.908 Personen nahmen an der Online-Befragung teil, 90 Prozent davon sind Frauen, ein Viertel gehören der LGBTQIA+ Community an.
Beinahe alle Befragten gaben an, in den letzten drei Monaten aufgrund ihres Aussehens bewertet und angestarrt worden zu sein. Mehr als die Hälfte erlebte Beleidigungen aufgrund des Geschlechts, war sexuellen Annäherungsversuchen, sexistischen Sprüchen und anzüglichen Bemerkungen ausgesetzt. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, welches beträchtliche Sümmchen an Grenzüberschreitungen im Leben einer Frau oder dem von Angehörigen einer marginalisierten Gruppe zusammenkommt. Grenzüberschreitungen, die so gut wie immer ungestraft und häufig sogar unerkannt bleiben.
Halten wir fest: Bei nicht-tätlicher sexueller Belästigung handelt es sich um ein Problem, das sehr viele Menschen betrifft (Frauen bilden immerhin die Hälfte der Bevölkerung), das ernstzunehmende psychische Folgen haben kann und das, Stand heute, weder angemessen erforscht noch effektiv bekämpft wird. Werfen wir nun einen Blick auf die Bilder, die in Deutschland verwendet werden, um dieses Thema zu kommunizieren.
Screenshots: Wie Medien berichten
Diese Bilder entstammen Online-Beiträgen zum Thema Catcalling. Es findet, wenn auch ungewollt, eine Verharmlosung durch die Bebilderung statt. Redaktionen arbeiten häufig unter Zeitdruck, wer hat da schon Kapazität für die ausführliche Suche nach einem aussagekräftigen Bild?
Auch die Menschen, die die Bilder auswählen, sind nicht frei von stereotypen Vorstellungen. Aus den Bildern wird selten eine bedrohliche Situation ersichtlich. Die Belästigung sieht nicht nach einem einschneidenden Erlebnis aus, das Betroffene womöglich noch Wochen verfolgt.
Wer ist die Schönste im ganzen Land
Die abgebildeten Personen sind überwiegend normschöne, weiße junge Frauen. Dass Frauen sehr unterschiedlich aussehen und oftmals gerade wegen dieser Unterschiede belästigt werden, geht aus der Bebilderung nicht hervor. Viele Frauen werden mehrfachdiskriminiert. Lesbische Frauen beispielsweise erleben diesen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung aufgrund ihres Geschlechts und wegen ihrer sexuellen Orientierung. Genau so verhält es sich mit trans Personen, Frauen mit Kopftuch, Schwarzen Frauen, Frauen mit Behinderung. Diese Aufzählung lässt sich lange fortführen. In der Mainstream-Debatte um Catcalling und den dazugehörigen Bildern steht wie immer besonders eine Frau im Mittelpunkt: Die normschöne, jugendliche, weiße Frau.
Diese Darstellung hat Folgen. Es entsteht ein Narrativ, das Belästigung mit Schönheit in Verbindung bringt. Schöne Frauen werden eben dumm angemacht. Vielleicht kommt daher der Trugschluss, dass verbale sexuelle Belästigung ein in die Hose gegangenes Kompliment sei. Vielmehr handelt es sich jedoch um Machtdemonstration. Um die Einnahme von öffentlichem Raum und um die Selbstversicherung von gesellschaftlich-konstruierter Männlichkeit. Wer glaubt, dass verbale sexuelle Belästigung etwas mit dem Aussehen der betroffenen Person zu tun hat, weit gefehlt. Vielmehr hat sie etwas mit den Tätern zu tun.
Sexuelle Belästigung ist keine Frauensache
Die Versuche der Redaktionen, nicht-tätliche sexuelle Belästigung in Bilder einzufangen, haben meistens eines gemeinsam. Im Mittelpunkt der Bildsprache steht die Frau. Klar, wer denkt bei „geiler Arsch“ und „sexy Beine“ schon an einen Mann? Sexuelle Belästigung ist irgendwie Frauensache, aber wieso? Indem Frauen ins Zentrum der Bebilderung von verbaler sexueller Belästigung gestellt werden, gerät das eigentliche Problem aus dem Fokus. Nicht die Betroffenen sind das Problem, sondern die Personen, die sexuell belästigen. Sexuelle Belästigung ist keine Frauensache.
Schlecht gealtert
Die Bilder der Berichterstattung über nicht-tätliche sexuelle Belästigung machen nie deutlich, dass häufig ein großer Altersunterschied zwischen Tätern und Betroffenen liegt. Die jungen Männer auf den Bildern lassen die Belästigung eher wie einen misslungenen Anmachversuch oder gar ein Gespräch auf Augenhöhe wirken. In der Realität sind es nicht selten gestandene ältere Männer, die über die Selbstbestimmung junger Frauen hinwegsehen, so als würde sie gar nicht existieren.
Wut statt Angst
Den abgebildeten Frauen steht meist die Verunsicherung ins Gesicht geschrieben. Auf den Bildern machen sie sich klein, ducken sich weg. Auch, wenn Angst eine vollkommen legitime Reaktion auf verbale sexuelle Belästigung ist – so reagieren bei weitem nicht alle Betroffenen. Eine der häufigsten Reaktionen ist vor allem Wut. Wut über oder Resignation vor einem Problem, das Betroffene unweigerlich verfolgt. Viele wissen mittlerweile ganz genau, was ihnen da geschieht, die Tage des Pseudo-Kompliments sind gezählt. Die Bilder der ängstlichen Frau dagegen bedienen ein Narrativ, das nicht zeitgemäß ist. Frauen wehren sich. Sie wehren sich mit Petitionen, Kreideaktionen, Demonstrationen, Social Media Aktivismus.
Sich wegduckende Frauen? Von wegen.
Kreideaktionen der CatCalls
Bilder der Zukunft
Das Bildmaterial für die Berichterstattung über verbale sexuelle Belästigung wird der Tragweite der Problematik nicht gerecht. Aus Fairness den Redaktionen gegenüber sollte gesagt werden: Es ist schwer. Wie lässt sich etwas abbilden, das unaussprechlich ist? Wie lässt sich ein Moment einfangen, der flüchtig ist, und wie wird man den vielen Facetten des Problems gerecht? Wie kann man es besser machen?
Wenn Stereotype der Schlüssel zu verständlicher Bildsprache sind, sollten wir diese neu definieren. Die Bebilderung von Artikeln über Catcalling zeigt zukünftig keine verängstigten Frauen, die sich erschrocken die Hand vor das Gesicht halten. Die Bilder von Catcalling zeigen stattdessen Zusammenhalt und Zivilcourage. Die Bilder könnten aufzeigen, wie es richtig geht. Wie man für Personen einsteht, die sexuelle Belästigung erleben. Bilder von Catcalling könnten Frauen abbilden, die zusammenhalten, die selbstbewusst und stark gezeigt werden.
Es braucht Bilder, die darstellen, dass verbale sexuelle Belästigung keine Frauensache, sondern Sache der Gesellschaft ist. Die Geschichte der Frau als Opfer sollte zu jener umgeschrieben werden, die sie tatsächlich ist: Die Geschichte von Frauen und anderen marginalisierten Menschen, die auf ihr Recht beharren, in dieser Welt so viel Raum einzunehmen wie sie möchten. Und das ganz ohne den störenden Lärm von Männern, die wütend dabei zusehen.
Antonia Quell
Gastautorin
Die berufstätige Masterstudentin aus Berlin hat im August 2020 eine Kampagne gegen verbale sexuelle Belästigung ins Leben gerufen. Für ihre Petition „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein.“ konnte sie 69.444 Unterschriften gewinnen. Die Petition wurde der Bundesregierung und dem Bundesministerium der Justiz überreicht, sowie den Fraktionen des Bundestags zur Kenntnis gegeben.
Mehr über die Petition
- Antonia Quell im Stern-Interview
- Positionspapier Antonia Quell und Niklas Dietrich
- Policy Paper „Catcalling“ vom Deutschen Juristinnenbund
- Ergebnisse der Petion
Aktionen gegen sexistisches Verhalten
Paderborn, Göttingen, Hannover, Groß-Gerau, Marburg, Bramsche: In vielen deutschen Städten wehren sich junge Frauen gegen Catcalling und erhalten Unterstützung:
„Ich heiße nicht Puppe!“
In Dortmund lief drei Wochen lang in den Kinos ein Trailer gegen Sexismus im öffentlichen Raum. Produziert haben ihn Studierende des Masterstudiengangs „Film“ der Fachhochschule Dortmund, unterstützt vom Gleichstellungsbüro der Stadt. Zusammen mit Plakataktionen war der Trailer Teil einer stadtweiten Kampagne zum Tag gegen Gewalt an Frauen am 25.11.2023.
„Kein Kompliment“
In Leipzig hat der Kommunale Präventionsrat auf Initiative des Jugendparlaments im November 2023 die medienwirksame Kein Kompliment: Kampagne gegen sexuelle Belästigung gestartet: „Der öffentliche Raum in Leipzig soll von allen angstfrei genutzt werden können, unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Hautfarbe und etwaigen körperlichen Beeinträchtigungen. Empathisches, selbstreflektiertes Verhalten, der respektvolle Umgang miteinander sowie das Einstehen füreinander sind dafür wichtige Grundlagen.“
Ideen und Impulse
Bei Genderleicht & Bildermächtig finden Sie Argumente und Fakten sowie Tipps und Tools für die gendersensible Medienarbeit.
Newsletter
Was gibt es Neues beim Gendern? Was tut sich bei Bildermächtig? Wir halten Sie auf dem Laufenden, immer zur Mitte des Monats.