Gender-Legende Marlies Krämer im Film

von | 3. Mai 2021 | Sprachpolitik

„Ich als Frau komme in meiner Muttersprache nicht vor“, erkennt Marlies Krämer Anfang der 1990 Jahre, als sie ihren Reisepass als „Inhaber“ unterschreiben soll. Sie ist Anfang 50, hat vier Kinder weitgehend alleine großgezogen, danach Soziologie studiert, sitzt für die SPD im Stadtrat der saarländischen Kleinstadt Sulzbach. Sie findet sich nicht damit ab, bloß „mitgemeint“ zu sein. Sie unterschreibt nicht, bleibt lieber sechs Jahre ohne gültiges Ausweisdokument. Der Rathausbeamte versteht damals nicht, was sie meint. Und die offizielle Antwort auf ihre Beschwerde, so erinnert sie sich, lautet: „Auf dem Weg nach Europa müssen wir uns dieser neutralen Sprache bedienen.“

 

„Die Kundin“ kämpft für die sprachliche Sichtbarkeit von Frauen

Der Dokumentarfilm „Die Kundin“, nun erstmals gezeigt beim DOK.fest München, begleitet Marlies Krämer mehr als 20 Jahre später, als sie sich noch einmal auf einen Feldzug gegen das generische Maskulinum begeben hat – diesmal mit Rollator und Rollstuhl. Als junge Frau hatte sich Krämer noch keine Gedanken gemacht, dass sie bei der Sparkasse nicht einmal ein Konto eröffnen durfte. „Das war halt so.“ Doch mit über 80 will sie sich nicht mehr als „Kunde“ oder „Kontoinhaber“ ansprechen lassen. Sie zieht vor Gericht.

Die Gender-Aktivistin empört sich noch heute über die Sache mit dem Reisepass, mit der alles begann: „Das ist ja keine neutrale Sprache, das ist eine absolut männliche Sprache, die mich als Frau verschweigt.“ Damals sammelt sie Unterschriften, schreibt Ministerien an – mit Erfolg: Seit 1996 heißt es „Unterschrift der Inhaberin/des Inhabers“ im Dokument. Das ist mehr als sie erwartet hatte: „Persönliche Unterschrift hätte mir ja gereicht.“

Beflügelt davon, „als Siegerin hervorgegangen“ zu sein, macht sie sich kurze Zeit später daran, gegen die Benennung der Hochs auf der Wetterkarte vorzugehen. Die tragen stets männliche, die Tiefs immer weibliche Namen. Denn auch das empfindet sie als Spiegel „patriarchalischer Strukturen“. Und auch das kann sie ändern.

In Interviews, mit Fotos und Zeichnungen zeigt der Film, wie es dazu kam, dass eine Frau rebelliert, die trotz Stipendium nicht Abitur machen durfte, weil sie ja doch heiraten würde. Was sie auch tut. Doch als ihr Mann früh stirbt, muss sie vier Kinder mit Putz- und Küchenjobs ernähren. Ihr persönlicher Wendepunkt ist eine Arbeitsstelle in der Mensa, wo sie Frauen kennenlernt, die das Frauenstudium an der Uni Saarbrücken installiert haben. Irgendwann ist für sie klar: „Die Zeit der Liese, mit der sie machen konnten, was sie wollten, die Zeit ist rum – ich bin nur noch die Marlies.“

Auch mit über 80 noch kampfeslustig

Namen und Sprache sind eben wichtig. Ganz bewusst bezeichnet sich Marlies Krämer nicht als Frauenrechtlerin. Sie ist Feministin, darauf legt sie Wert. Im November 2018 – in dem Jahr, als sie mit ihrer Klage gegen die Sparkasse vor dem Bundesgerichtshof scheitert, gründet Krämer den „Verein zur Förderung der sprachlichen Gleichberechtigung von Frau und Mann“, denn diese ist für sie „der Schlüssel, bzw. die Voraussetzung für die gesellschaftliche Gleichstellung“. Posts auf Social Media Kanälen und Fernsehausschnitte zeigen, wie sie wegen des Verfahrens plötzlich berühmt, aber auch angefeindet wird – inklusive eines peinlichen Auftritts des Rappers Bushido. Auch das beirrt sie nicht. Sie zieht vors Bundesverfassungsgericht.

Was der Film nicht mehr erwähnt: Im Juli 2020 wies auch das Bundesverfassungsgericht die Klage ab – aus formalen Gründen, wegen mangelnder Begründung. Ein neues Verfahren in Karlsruhe oder vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte könnte aber noch Erfolg bringen. Auch sonst bleiben ein paar Fragen offen: Was denkt die Kämpferin für geschlechtergerechte Sprache eigentlich über das Gendersternchen? Was über einfache Sprache oder Inklusion?

Es fehlt auch ihr politisches Engagement, ihr Parteiwechsel von der SPD zur Linken. Dafür gibt es aber tiefere Einblicke, die die meisten Medienberichte über Marlies Krämer bisher nicht geboten haben: sehr persönliche Szenen im Krankenhaus, mit dem zweiten Ehemann, er ist mittlerweile verstorben. Außerdem Interviews mit einem ihrer Söhne und mit befreundeten Aktivistinnen. Katja von der Bey, Geschäftsführerin der WeiberWirtschaft, Europas größter Frauengenossenschaft, stellt die Verbindung zur neuen Frauenbewegung her: „Die gendergerechte Sprache ist einfach ein Bestandteil der feministischen Bewegung – immer schon, nicht erst in letzter Zeit.“

Auch der Macher des Films schlägt eine Brücke – über Kontinente, Generationen und Geschlechtergrenzen hinweg: Der Deutsch-Kolumbianer Camilo Berstecher Barrero hat die Dokumentation als Student an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken gedreht. Er ist nominiert für den von der Produktionsfirma Megaherz gestifteten Student Award.

 

Der Dokumentarfilm

DIE KUNDIN
Deutschland 2021, Regie: Camilo Berstecher Barrero, Länge: 65 Min.
DOK.fest München 2021

 

Marie-Juchacz-Frauenpreis

Die Sozialdemokratin und Sozialreformerin Marie Juchacz hielt am 19. Februar 1919 als erste weibliche Abgeordnete in der Weimarer Nationalversammlung eine Rede. In ihrem Namen werden Persönlichkeiten geehrt, die sich in besonderem Maße für Frauenrechte und die Gleichstellung von Frau und Mann engagieren. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat den Frauenpreis zum hundertjährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts 2019 ins Leben gerufen.

Portrait Angelika Knop

@ Christiane Kappes

Angelika Knop

Gastautorin

Journalistin und Moderatorin, berichtet über Recht und Justiz, Medien und Frauenpolitik. Sie sieht Gendern als Prozess, verfolgt Trends und Debatten, nutzt das Sternchen und übt den Glottisschlag. Manchmal wünscht sich Angelika Knop sehnlichst neutrale Begriffe, wenn das Geschlecht gerade nichts zur Sache tut.

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