Am 2. September 2023 jährte sich das Gründungsdatum der Frauen-Fußballbundesliga zum 33. Mal. Seitdem hat sich in der Gesellschaft und in den Köpfen einiges verändert, Berichterstattung und Bebilderung sind deutlich weniger sexistisch als noch in den Anfangsjahren nach 1990. Die Bilder vom Frauenfußball sind insgesamt sportlicher, kämpferischer geworden und auch die eine oder andere Kommentatorin darf bei Spielen mal etwas in die Kamera sagen. Dennoch: bis heute ist der Gender-Bias im Profi-Fußball nicht vollständig überwunden.
Wenig Geld, aber Top-Leistungen
Beim Gewinn der Europameisterschaft im Jahr 1989 galt die Fußball-Nationalelf der Frauen noch als amateurhaft und erhielt als Siegprämie vom Deutschen Fußballbund ein geblümtes Kaffeeservice. Ein Fauxpas, der bis heute ins Bewusstsein rückt, dass die Spielerinnen der 1. Bundesliga meistens einen Zweitjob brauchen, um sich zu finanzieren. DFB-Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch beziffert den Durchschnittsverdienst einer Bundesliga-Spielerin inzwischen zwar auf rund 3.500 Euro, doch das ist nicht einmal in der höchsten Spielklasse die Norm – geschweige denn in der 2. Liga.
Die geschlechtsbezogene Ungleichheit zeigt sich auch in der Berichterstattung: über Sportlerinnen wird insgesamt seltener berichtet als über Sportler, was auch am unausgewogenen Geschlechterverhältnis vor der Kamera liegt. Mit Jessy Wellmer (ARD), Esther Selaczek (ZDF) und Kathrin Müller-Hohenstein (ZDF) haben die wichtigsten Sportsendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zwar bekannte Moderatorinnen vor der Kamera. Mit einem Anteil von nur 10 Prozent sind die Sport-Journalistinnen in den Redaktionen jedoch ähnlich unterrepräsentiert wie die Profi-Sportlerinnen in den Medien. Das mache sich bemerkbar, wenn es darum gehe, für eine weniger sexualisierte Berichterstattung zu sorgen, so Christoph Pietsch 2022 in einem Beitrag für den SWR. Männer berichteten für Männer, denn: „Sportmedien werden von deutlich mehr Männern als Frauen konsumiert.“
Mit Selbstinszenierung raus aus der medialen Unsichtbarkeit
Diese Benachteiligung zieht wesentlich geringere Einnahmen beim Sponsoring, bei Werbeverträgen und in der Vermarktung nach sich. Spitzen-Fußballerinnen stehen deshalb unter einem hohen Selbstinszenierungs- und Vermarktungsdruck, zum Beispiel auf Click-und-Like-zentrierten Online-Plattformen wie Instagram, TikTok und Co. Die Schlagworte lauten „Aufmerksamkeit“ und „Reichweite“, so Pietsch. Eine Überbetonung von Attraktivität, Femininität, Körperlichkeit und Erotik rentiere sich in diesen Formaten mehr als der Bezug auf die sportliche Leistung. Denn da brauchen sich die deutschen Fußballerinnen mit ihrem zweifachen WM-Titelgewinn, dem achtfachen EM-Titel, drei Bronze- und einer Goldmedaille bei den Olympischen Spielen wahrlich nicht zu verstecken. Auch wenn der Postillon bei der diesjährigen WM unkte: „Endlich auf Augenhöhe mit den Männern: DFB-Frauen bereits in der Vorrunde raus“.
Auch im Sportmarketing haben mehr Männer das Sagen. Es entsteht ein schwer zu durchbrechender Zirkelschluss aus Erwartungshaltungen von Funktionären und Presse und wirtschaftlichem Druck auf Hochleistungssportlerinnen, die eigentlich den Kopf frei haben sollten, um sich auf ihre sportliche Leistung zu konzentrieren.
Zum Vergleich die Instagram-Profile von Thomas Müller und Alisha Lehmann, die ähnlich hohe Follower-Zahlen aufweisen. Der nach Trophäen gerechnet erfolgreichste deutsche Fußballer Müller mit nur knapp 13,4 Millionen Followern präsentiert sich als Hundefreund mit jungenhaft-bayerischem Charme. Dazu stets voll bekleidet. Die Schweizer Nationalspielerin Lehmann orientiert sich in ihrem Profil an einer erotisierten Influencerinnen-Ästhetik und erreicht so eine Followerschaft von rund 15 Millionen. „No more soccer“ und Ähnliches steht bei ihr als Kommentar zu lesen. In Zeitungsmeldungen scheint das neueste Tattoo der „Schönsten Fußballerin der Schweiz“ wichtiger als ihr nächstes Spiel. Auch die deutsche Nationalspielerin Giulia Gwinn wird zu den „schönsten Fußballerinnen der Welt“ gerechnet und dafür gelobt, „dass sie nicht nur auf dem Platz, sondern auch abseits des Rasens eine beeindruckende Figur“ mache.
Welches Bild von sich zeigen uns die Fußballerinnen?
Als die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen bei der WM 2019 antrat und das Viertelfinale erreichte, wirkte die Selbstdarstellung im Schulterschluss mit einer deutschen Bank vergleichsweise souveräner und auch witziger. Der Video-Slogan „Wir brauchen keine Eier – wir haben Pferdeschwänze“ erzielte hohe Reichweiten.
Die Soziologin Bettina Staudenmeyer beschrieb anlässlich der Weltmeisterschaft 2019 im Interview mit Franziska Koohestani vom Magazin Jetzt, welche Entwicklung dem vorausgegangen war: „Wenn Frauen Fußball spielen, galt das lange Zeit als unweiblich und das wurde wiederum gleichgesetzt mit Lesbisch-Sein.“ Mit der WM 2011 habe „der DFB offiziell versucht, dieses Image, das „Mannsweiber“-Klischee loszuwerden: Es ging plötzlich darum, die Spielerinnen als möglichst heterosexuell, feminin und den Schönheitsidealen entsprechend darzustellen.“ Spielerinnen, die ins Bild passten, seien in den Fokus gerückt worden. So ist auch in der Bildberichterstattung der Weltmeisterschaft des Jahres 2023 auffällig, wie viele Spielerinnen lange Haare haben und nicht nur mit gezupften Augenbrauen, sondern auch geschminkt das Spielfeld betreten.
Für die FIFA-WM der Frauen im Sommer 2023 waren Anfang Juni des Jahres nicht einmal die Übertragungsrechte geklärt, denn erstmalig waren diese aus dem Gesamtpaket mit der WM der Männer abgekoppelt und gesondert verhandelt worden. Immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Durch das Gerangel um die Lizenzen erhielt ausgerechnet ein umstrittener Akteur wie FIFA-Präsident Gianni Infantoni die Gelegenheit, sich als Verfechter der Gleichberechtigung darzustellen, indem er den in seinen Augen zu niedrig bietenden Rundfunkanstalten eine mangelnde Wertschätzung des Frauenfußballs unterstellte.
Die im Vorfeld der diesjährigen WM ausgestrahlte zweite Staffel der ZDF-Sportstudio-Reportage „Born for this – mehr als Fußball“ wirkte regelrecht rückwärtsgewandt. Sie warb mit „persönlichen Einblicken bei den DFB-Frauen“ und befasste sich eher weniger mit sportlichen Aspekten. Die Aufmerksamkeit im Vorfeld der WM sollte wohl gute Einschaltquoten für die Spiele sicherstellen. Ob es das gebraucht hätte? Das Branchen-Magazin Meedia titelte: „Frauen-WM sehen um 12 Uhr doppelt so viele Fans wie UEFA-Supercup der Männer in der Prime Time“. Vielleicht ist es an der Zeit, dass der DFB sich weniger an den Ratschlägen seiner PR- und Marketingberater orientiert als an den Bedürfnissen seiner Spielerinnen?
Zum Vergleich: In der englischen Women’s Super League sind die Strukturen leistungsgerechter. 2022 kam dort eine Spielerin auf ein durchschnittliches Jahresgehalt von 55.000 Euro.
Darin liegt ein System: auf das steigende Interesse und entsprechende Ticket-Verkäufe verweisend, erwirkt die erfolgreiche Women’s Super League seit rund zwei Jahren einträgliche TV-Einnahmen. So erhöht sich ihre Sichtbarkeit, was den Profi-Fußballerinnen lukrative Verträge einbringt. Idole entstehen, die Motivationsschübe für den Freizeitsport von Mädchen und jungen Frauen freisetzen können.
Lust machen aufs Fußballspielen
Als weltweit zweiterfolgreichste Frauenfußball-Nation liegen wir in Deutschland im Bereich der Nachwuchsförderung zurück: „Mädchen benennen weitaus weniger Vorbilder aus dem Bereich Sport als Jungen – vermutlich auch wegen der geringen medialen Präsenz von Sportlerinnen. Auch ein Zusammenhang zur sportlichen Aktivität ist denkbar, da nach wie vor mehr Jungen sportlich aktiv sind als Mädchen. Eine ausgewogenere und gendersensible Berichterstattung könnte allen Jugendlichen die Möglichkeit eröffnen, sich mit dem Sport und mit Sportler*innen zu identifizieren“, stellt Prof. Dr. Ilse Hartmann-Tews, Leiterin des Instituts für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln fest.
Sie betreibt eine Langzeitstudie, wie sich die Berichterstattung über Männer und Frauen im Sport unterscheidet. Sie wertete mit ihrem Team in zwei Studien 4.000 Bilder und ihre Bildunterschriften aus überregionalen deutschen Tageszeitungen wie FAZ, BILD, Welt und Frankfurter Rundschau aus. Die Untersuchungen hätten gezeigt, dass Frauen im Verhältnis deutlich seltener in der Sportberichterstattung dargestellt würden, vor allem in der Tagespresse. Überrascht hätte die Forschenden, „dass trotz steigender Zahl von Sportlerinnen seit den 1970er Jahren nicht entsprechend mehr über sie berichtet wird, sondern vielmehr seit 2010 wieder weniger Sportlerinnen abgebildet“ würden. Abhilfe könnte geschaffen werden, so Hartmann-Tews, indem die Sportberichterstattung „sich ihrer Voreingenommenheit zugunsten des Sports der Männer bewusst“ würde und hier aktiv entgegensteuerte.
Viel erreicht, aber noch ist Luft nach oben
Wie die Vermarktung von Spitzensportlerinnen zeitgemäß funktionieren kann, fasst der eingangs erwähnte SWR-Beitrag von Christoph Pietsch augenfällig zusammen: mehr Berichterstattung, Schwerpunktsetzung auf sportliche Techniken, etwa in der Zweikampfführung, kombiniert mit redaktioneller Reflektiertheit in der Berichterstattungen, weniger Inszenierungen, mehr Highlight-Matches, wie sie auch Nationalspielerin Felicitas Rauch fordert.
Statt Stereotypen und Ausgrenzungserfahrungen brauchen wir mehr Fußballteams, mehr Leistungszentren für Mädchen, mehr Diversität und Talent-Scouting, so wie es bereits im Vorjahr die englischen Nationalspielerinnen nach dem Sieg der Europameisterschaft für Großbritannien forderten. Die FIFA hat die Profitabilität von Frauenfußball erkannt. Das zeigt, was DFB-Generalsekretärin Heike Ulrich schon letztes Jahr feststellte: „Wir haben die Gesellschaft erreicht, sind in den Köpfen der Entscheidungsträger und in den Herzen der Menschen angekommen.“ Darauf bauend, ist derzeit auf jeden Fall noch viel Luft nach oben, was die Gleichstellung von Männern und Frauen im Fußball angeht. Es scheint aber auch nicht unmöglich.
Jana Chantelau
Gastautorin
Als die Frauen-Bundesliga gegründet wurde, paukte sie fürs Abitur. Beim vierten EM-Titel der deutschen Frauen-Nationalmannschaft schloß sie gerade ihr medienwissenschaftliches Studium in Großbritannien mit dem Master of Arts ab. Seit etwa 15 Jahren wird Jana Chantelau annähernd geschlechtsneutral bezahlt.
Elke Koepping
Genderleicht & Bildermächtig
ist ein Recherche-As, hat von Fußball aber keine Ahnung. Wie sie es geschafft hat, zur WM 2011 ein Interview mit Nadine Angerer zu ergattern, ist ihr bis heute ein Rätsel. Im richtigen Leben ist sie eigentlich Kulturjournalistin, Lektorin und Sprecherin.
Gleichstellung im Sport
Das Projekt Klischeefrei im Sport – no stereotypes setzt sich für eine klischeefreie Sportkultur und für die Gleichstellung der Geschlechter auch im Sport ein. Mehr Frauensportiniativen finden sich beim Denkanstoß von Klischeefrei.
Frauen oder Männer?
Endlich wieder eine EM (2021)
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