In den Medien
Schon mal bemerkt: In Radio- und Fernsehnachrichten ist viel öfter von „Menschen“ die Rede, gemeint als geschlechtsneutraler Oberbegriff. In den Mainstream-Medien gibt es häufiger Beidnennungen zu hören und zu lesen. Auch Partizipialkonstruktionen wie „Studierende“ und „Demonstrierende“ kommen vor. Gelegentlich tauchen ein Gendersternchen oder ein Gender-Doppelpunkt auf.
Das Gendern kommt?
Das Gendern ist schon da!
Die Nachrichten von Deutschlandfunk Nova werden oft mit Gender-Gap gesprochen. Seit dem 1. September 2020 hat Radio Fritz vom rbb das Sprechen mit der Gender-Lücke zum Standard gemacht. Diesen Ministop vor der weiblichen Endung hören Sie gelegentlich auch in anderen Hörfunksendungen, meist die mit einem jüngeren Publikum. In dem einen oder anderen Radiosender wird spielerisch gegendert, mit Varianten von Beidnennungen, die aufhorchen lassen. Moderatorinnen und Moderatoren nutzen ihre sprachliche Fantasie, um ihr Zielpublikum passend anzusprechen.
Viele Redaktionen haben über geschlechtergerechte Sprache diskutiert und ob und wie das generische Maskulinum vermieden werden kann. Der Spiegel empfiehlt in seinen Richtlinen für redaktionelles Arbeiten seit Anfang 2020 darauf zu verzichten. Die Frankfurter Rundschau hat sich im September 2020 für den Gender-Doppelpunkt entschieden. Das Deutschlandradio hat Empfehlungen für geschlechtergerechte Sprache veröffentlicht. SWR2 Wissen weist Autorinnen und Autoren in einem Leitfaden auf die Methode Genderleicht hin. Im Januar 2021 hat sich der Berliner Tagesspiegel Leitlinien zum Gendern gegeben. Seit April 2021 will der Bonner Generalanzeiger „fantasievoll und stilistisch flexibel“ für Geschlechtergerechtigkeit sorgen.
In ARD und ZDF ist auch Bewegung. Anne Will spricht mit Beidnennung oder Lücke genauso überzeugt wie es ZDF-heute-Moderatorin Petra Gerster bis zu ihrem Abschied in den Ruhestand Ende Mai 2021 getan hat. Claus Kleber war der erste, der das „Sprechen mit der Minilücke“ im heute-journal ausprobiert hat. Auch in Tagesschau-Berichten ist es gelegentlich zu hören. Einer der ersten, der sich vor der Kamera von der Richtigkeit des Genderns überzeugt gezeigt hat, war Anfang 2020 ZDF-aspekte-Moderator Jo Schück. Der NDR gendert seit drei Jahren, der Hessische Rundfunk seit Anfang Juni 2019. Falls Ihnen Gendern nicht weiter auffällt, so liegt das an der Methode „geschlechtsneutral“, wie uns die Beauftragte für Gleichstellung und Diversity des NDR, Nicole Schmutte, im Interview berichtet hat.
Der Journalismus hat das große Problem der Zielgruppenansprache: Die meisten Medien sind für ein breites Publikum gemacht – und es ist heute schon schwer genug, eine Sprache für die gesamte Leserschaft zu finden und Informationen so aufzubereiten, dass jeder und jede sie versteht. Das wird durch das Gendern nicht gerade leichter. Die „taz“ hat lange das Binnen-I verwendet, aber natürlich auch ein Publikum, das damit kein Problem hat, sondern das sogar erwartet.
Erste Gender-Sprechversuche im Fernsehen. Unser Video mit TV-Ausschnitten aus dem Frühjahr 2020:
„Wie deutsche Medien gendern“: Informativer Überblick für das 360G-Medienformat des MDR von Jenny Zylka
und Steffen Grimberg, Juli 2021.
„62 Redaktionen achten laut Eigenaussage darauf, gendersensibel zu formulieren. Das Gendern mit Sonderzeichen oder Sprechpause ist dabei die Ausnahme.“ Ergebnis einer Befragung des DJV-Magazins journalist im Herbst 2021 unter 97 Mainstream-Medien, 90 hatten geantwortet.
Gendersensible Medienarbeit
Ob Radio oder Podcast, Print oder Online, TV oder sonstige Videoformate, von der Nachricht über den Beitrag bis hin zu Feature und Glosse – Alles was Sie für Geschlechtergerechtigkeit in Wort und Bild benötigen, ist eine Auffrischung Ihres journalistischen Werkzeugs.
… beginnt mit der Recherche
Schon bei den ersten Überlegungen, mit wem will ich sprechen, wer hat Expertise, wie mache ich mein Konzept, können Sie gendersensibel arbeiten: mit dem Gendercheck – in jeder Phase Ihrer Medienproduktion.
So geht’s:
- Arbeiten Sie kreativ und situativ genau mit Sprache.
- Achten sie auf geschlechtergerechte Bildgestaltung.
- Wagen Sie den Wechsel in die Perspektive eines anderen Geschlechts.
- Prüfen Sie den gleichwertigen Anteil der Beteiligten.
- Hinterfragen Sie Rollenklischees.
- Probieren Sie neue Schreibroutinen.
- Machen Sie den Gendercheck.
Was Sie davon haben?
Bessere Geschichten durch neue und vor allem vielfältige Perspektiven und eine Qualitätssteigerung durch einen bewussteren Umgang mit Sprache. Sie gehen als Medienschaffende mit gutem Vorbild voran.
Zu den journalistischen Grundregeln zählt die Verpflichtung zu Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit, wie auch der Grundsatz, Diskriminierungen zu vermeiden.
Pressekodex Ziffer 1 + 12
Von diesem professionellen Anspruch im Pressekodex leitet sich die Pflicht ab, die gesamte Gesellschaft und deren vielfältige Belange im gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehen angemessen und geschlechtergerecht abzubilden.
So gendern diese Medien
Sprachliche Kreativität, geschlechtsneutrale Bezeichnungen und das Spiel mit Doppelformen ist für die meisten die Lösung.
Die Redaktion von Bento, das junge Angebot von Spiegel Online, inzwischen eingestellt, hat es allen vorgemacht: „… indem wir zu Beginn eines Beitrags zunächst beide Formen verwenden, die männliche und die weibliche. Im Laufe des Beitrages wechseln wir, so dass Politikerinnen und Politiker, Erzieherinnen und Erzieher nebeneinander in unseren Texten vorkommen – genau, wie in der Realität.“
ZEIT ONLINE schreibt ähnlich kreativ, während ze.tt, das junge Ressort bei Zeit-Online, das Gendersternchen nimmt. Und die taz? Experimentierfreudig wie immer. Beim aufmerksamen Lesen finden sich in vielen Zeitungen und Zeitschriften dezente Genderbeispiele. Nahezu unauffällig sorgen sie für mehr Geschlechtergerechtigkeit in ihrer Berichterstattung in Wort und Bild. Über diese Art des Genderns regt sich niemand mehr auf.
Die Lösungen werden immer geschickter, denn eines ist klar: Überschriften müssen gar nicht länger werden, ein eleganter und angenehmer Lesefluss ist auch mit Gendersensibilität möglich. Alles was Sie brauchen, ist ein kreativer Umgang mit der Sprache – und ein bisschen Mut und Nachdenken, um in Sachen Geschlechtergerechtigkeit neue Wege zu gehen.
Testen Sie doch mal die Methode Genderleicht:
Gendergerecht schreiben in sieben Schritten.
Natürlich wollen wir über Menschen jeden Geschlechts berichten und sie gleichermaßen ansprechen. Wir sind uns bewusst, dass Sprache nicht nur abbildet, sondern Wirklichkeit formt. Zu unserem Beruf gehört es, bewusst und sensibel mit Sprache umzugehen.
Wir wollen jenen Spielraum für Gendergerechtigkeit nutzen, den uns die Sprache auch ohne solche besonderen Schreibweisen schon jetzt lässt.
Sprache ist ein Experimentierfeld und entwickelt sich beständig weiter. Neulich verwendete eine Autorin den Doppelpunkt. Man würde also schreiben: Journalist:innen. Das ist eine neue interessante Form, mit der man herumprobieren kann.
Jede Redaktion hat die Wahl.
Ob Print, Radio, Fernsehen, oder eine der anderen Medienformen – es gibt verschiedene Möglichkeiten, gendersensiblen Journalismus umzusetzen, offensiv oder dezent, mit Gendersternchen oder geschlechtsneutral. Wir sind gespannt, wie Sie es machen. Schreiben Sie uns.
Wie verständlich sind gendersensibel geschriebene Nachrichten? Im Mai 2021 haben das Nachrichtenradio MDR Aktuell und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ein Forschungsprojekt gestartet. Ergebnisse werden für 2022 erwartet.
Mehr Infos
Wissenschaftliche Studien belegen Sinn und Nutzen des Genderns. Sprachleitfäden geben praktische Hilfestellungen, und in Artikeln, Büchern und Blogposts finden Sie kluge Gedanken zum Thema. Wir haben einiges für Sie zusammengestellt.
Wollen Sie es genauer wissen?
Sehen Sie das auch so?
„Das ist Sprachzensur!“
Im Gegenteil. Wir alle dürfen mit Sprache spielen. Es ist spannend zu beobachten, wie neue Sprachideen Nachahmung finden. Wer mit Gendersternchen, Gender-Doppelpunkt oder Gender-Gap schreibt oder beim Sprechen an dieser Stelle eine Mini-Lücke lässt, gestaltet den Sprachwandel mit. Dies geschieht aus Überzeugung und nicht aus Zwang. Alle anderen sollte es nicht stören.