Spätestens seit bei „Anne Will“ nicht nur die Moderationen, sondern auch die Einspieler gegendert sind, fällt dem Publikum auf: hier ist etwas in Bewegung. Doch beim Gendern im Fernsehen geht es nicht nur um Sprache. Schon früh im Produktionsprozess empfiehlt es sich, Frauen und Männer gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Die dreiteilige Genderleicht-Blogreihe „Gendern im Fernsehen“ verrät, worauf es dabei ankommt und richtet den Blick auf konkrete Arbeitsschritte – hier auf Recherche und Dreh.
Gendersensibel im Fernsehen
Worauf zu achten ist, um geschlechtergerechte Fernsehbeiträge herzustellen, weiß Friederike Sittler, Abteilungsleiterin von „Hintergrund Kultur und Politik“ bei Deutschlandfunk Kultur. Die Vorsitzende des Journalistinnenbundes war zuvor über zwei Jahrzehnte bei SFB und rbb, arbeitete vor und hinter der Kamera und setzt sich für eine gleichberechtigte Darstellung der Geschlechter ein.
Gendersensibel recherchieren: Frauen und Männer im Blick
„Bereits bei der Planung haben Autorinnen und Redakteure die Chance, gendersensibel vorzugehen“, davon ist Friederike Sittler überzeugt. Im fertigen Fernsehbeitrag sollten – wenn es zum Thema passe – in etwa gleich viele Frauen wie Männer zu sehen sein. Außerdem sei es sinnvoll, sich früh darüber Gedanken zu machen, wie Personen im Film dargestellt werden. Sie empfiehlt Fernsehjournalistinnen und Fernsehjournalisten, sich mit folgenden Fragen auseinander zu setzen:
- Welche Frauen und Männer kommen für den Beitrag in Frage?
- In welchen Situationen werden diese Menschen gezeigt?
- Wer handelt vor der Kamera?
- Wer liefert Fakten? (gibt es eine gezielte Suche nach Experinnen?)
- Wer liefert Emotionen? (Könnte es auch anders sein?)
- Welche unterschiedlichen Konsequenzen hat das Thema für Männer und Frauen?
- Kann ich für den Beitrag gezielt Expertinnen anfragen?
Fragen wie diese können helfen, Personen, Situationen und Sachverhalte im Fernsehen realitätsnäher darzustellen, ähnlich auch der Gendercheck, den wir zusammengestellt haben.
Tatsächlich wird im Fernsehen oft ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit vermittelt.
Im TV Männer in der Überzahl
Wenn Frauen im Fernsehen moderieren, dann sind sie meist unter 40 und schlank. Mit zunehmendem Alter verschwinden viele vom Bildschirm, während Männer – egal wie alt, müde oder vom Leben gezeichnet – die Welt erklären. Männer sind als Experten, Gameshow-Moderatoren, Journalisten und Sprecher deutlich in der Überzahl, sagen Dr. Elizabeth Prommer und Dr. Christine Linke. Sie haben für die von der MaLisa-Stiftung initiierte Studie „Audiovisuelle Diversität“ nachgezählt: Wer mit Expertise im Fernsehen etwas erklärt, ist zu knapp 80 % männlich und zu etwa 20 % weiblich. Und auch als sogenannte Alltagspersonen kommen Frauen nur zu 43 %, Männer dagegen zu 57 % vor (vgl. MaLisa-Studie, S. 15).
Damit das Fernsehen die Realität besser abbildet, sind also jene gefragt, die Beiträge und Sendungen recherchieren und produzieren – und redaktionell verantworten.
Nicht in die Rollenklischee-Falle tappen
Neben der zahlenmäßigen Gleichberechtigung muss die inhaltliche Gleichberechtigung berücksichtigt werden. Das bedeutet: Klischees hinterfragen statt sie immer wieder zu reproduzieren und eigene Grundannahmen öfter mal selbstkritisch überprüfen:
- Ist es wirklich so, dass Männer etwas auf diese und Frauen etwas auf jene Art machen?
- Sind in dem Themengebiet tatsächlich nur Männer tätig?
- Kann es umgekehrt so sein, dass ausschließlich Frauen für den Dreh infrage kommen?
Solche Überlegungen verhindern, ein Thema eindimensional zu bearbeiten.
Gendersensibler Dreh – eine Frage der Perspektive
„Es gibt Kameraeinstellungen, die sind aus Genderperspektive nicht tragbar“, hat Friederike Sittler festgestellt. Denn beim Fernsehen gilt: stimmt das Bild nicht, lenkt es vom Inhalt ab. Als Fernsehautorin und Redakteurin hat sie bei Dreh und Abnahme immer genau darauf geachtet, wo die Kamera steht und aus welcher Perspektive alle Personen gefilmt werden: „Die Position der Kamera bestimmt mit, wie Frauen und Männer wirken. Dafür sollten sich vor allem Kameraleute sensibilisieren, aber auch die Autorinnen und Autoren, die den Dreh begleiten“, sagt Friederike Sittler.
Weil sie als Moderatorin und Reporterin selbst häufig vor der Kamera gestanden hat, weiß sie um die Wirkung. „Mir ist es oft passiert, dass ich vor Kirchtürme gestellt wurde. Dadurch kam ich in die Untersicht – mit dem Resultat, dass ich auf dem Bildschirm ein unglaublich starkes Doppelkinn hatte.“ Mit wachsender Erfahrung hat sie bessere Einstellungen durchgesetzt. Weil Protagonistinnen und Protagonisten sich über solche Dinge beim Dreh in der Regel keine Gedanken machen, liegt es in der Verantwortung der Fernsehleute das zu übernehmen – zum Beispiel, indem sie sich selbst fragen: „Möchte ich so dargestellt werden?“. Lautet die Antwort „Nein“, dann sollte die Kamera anders positioniert werden, rät sie.
Menschen sollten übrigens auch nicht von „oben herab“ gefilmt werden – warum erklärt Friederike Sittler mit einem Beispiel. Sie erinnert sich an einen Dreh in Uganda, bei dem der Schulunterricht unter einem Baum stattfand und alle im Kreis auf dem Boden saßen: „Natürlich ein total schönes Bild, aber es ist auch eine unangemessene Machtperspektive im Stehen zu filmen. Deshalb habe ich den Kameramann in die Knie gezwungen und gesagt: Du machst das bitte auf Augenhöhe.“
Bildsprache gendern – so geht´s
„Wir sehen im Fernsehen anders aus als in der Realität. Da ist es nur fair, die Menschen darauf hinzuweisen, wenn etwas nicht stimmig wirkt“. Für Friederike Sittler hat ein wertschätzender Umgang mit jenen, die gefilmt werden, viel mit Gendersensibilität zu tun. Weil beim Fernsehen so viel über das Äußere geht, rät die Journalistin dafür zu sorgen, alles so perfekt wie möglich zu machen.
„Wenn zum Beispiel auf der einen Gesichtsseite gerade ein Pickel blüht, filme ich die andere Gesichtshälfte. Ich zupfe Fussel auf der Kleidung ab, weise darauf hin, wenn die Brille schief sitzt oder pudere eine glänzende Nase nochmal ab – das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen“, berichtet Friederike Sittler, was in ihrer Zeit als Reporterin für sie selbstverständlich war. Ihr Tipp: freundlich aber direkt sein, „auch wenn es etwas Überwindung kostet“.
Dazu gehört ein Blick auf die Körperhaltung: Ist die Pose ungünstig, lässt sie den Mensch vor der Kamera unvorteilhaft aussehen? Mit kleinen Veränderungen kann Großes bewirkt werden: „Wenn kräftige Personen nicht frontal aufgenommen werden, sondern sich etwas seitlich eindrehen, wirkt das Bild ästhetischer und der Mensch sympathischer“, hat die Fernsehfrau festgestellt. Um solche Dinge beim Dreh im Griff zu haben, schaut sie vor der Aufnahme kurz selbst durch die Kamera.
Sexistische Fernsehbilder verhindern
Beim sorgfältigen Briefing vor dem Dreh sollten Absprachen aus Gender-Perspektive getroffen werden: Wer soll im Bild zu sehen sein und wie sollen die Personen gezeigt werden? Wer wird welche Rolle haben, wie lassen sich stereotype Darstellungen vermeiden?
Was für Friederike Sittler inakzeptabel ist: Wenn bei Frauen in den Ausschnitt gefilmt wird oder ein langsamer Schwenk über die Beine von unten nach oben geht. Auch darüber müsse mit einigen Kameraleuten offen gesprochen werden, hat sie festgestellt: „Es gibt tatsächlich Einstellungen, da war im Mittelpunkt eben nicht das Gesicht oder die Augen, sondern alles halsabwärts.“ Frauen auf den Körper zu reduzieren, ist purer Sexismus.
Beim Interview auf Gendersprache achten?
„Wir können den Menschen nicht vorschreiben, wie sie sprechen sollen,“ sagt Friederike Sitter. Wenn Interviewpartnerinnen und O-Ton-Geber das generische Maskulinum verwenden, müssen Fernsehleute das akzeptieren. Wie gendersensible Fernsehjournalistinnen und – journalisten dennoch an ebenfalls gendersensible O-Töne kommen könnten, verrät sie mit Tipps aus der Praxis:
- Es ist legitim, darauf hinzuweisen, dass „der O-Ton möglicherweise im Kontrast zum Sprechtext stehen wird“, vorausgesetzt, er berücksichtigt selbst die Vielfalt der Geschlechter. So ein Anstupser kann bewirken, dass sich im Interview der eine oder die andere dann doch gendersensibel ausdrückt.
- Bei Fragen selbst vorbildlich gendern – etwa mit Beidnennung, das hilft. Oft werden bei der Antwort Formulierungen übernommen.
- Gezielt nach Frauen fragen – und umgekehrt nach Männern, wenn sonst nur über die Perspektive eines Geschlechts gesprochen wird.
Gendern mit Fingerspitzengefühl
Bei Menschen, die bereits leidenschaftlich gendern: Ein vorsichtiges Eingreifen ist erlaubt, falls es zu viel des Guten sein sollte und ein O-Ton vor lauter Beidnennungen, irritierender Wortneuschöpfungen und Mini-Pausen schwer zu verstehen ist.
Manchmal ist es leichter, eine interessante Aussage beim Drehen des Interviews zu wiederholen, als im Schnitt daran herumzudoktern. Spätestens bei der Abnahme kommt sonst die Frage: Hast du noch einen anderen O-Ton?
Bei alledem sollten Fernsehjournalist*innen ihr Gegenüber nie zu etwas drängen – schließlich geht es bei O-Tönen um Authentizität.
Gendern im Fernsehen: So gelingt´s
Gendersensible Fernseharbeit funktioniert dann am besten, wenn alle Beteiligten bei jedem Produktionsschritt achtsam sind. Dabei hilft es auch, die eigene Perspektive zu weiten, zum Beispiel durch vielseitige Berufserfahrung. Friederike Sittler war als Redaktionsleiterin verantwortlich für Live-Übertragungen, als Redakteurin hat sie regelmäßig Abnahmen gemacht. „Die Erfahrung vor der Kamera – als Moderatorin und Reporterin – haben mir geholfen, noch mal mehr auf Gender-Aspekte zu achten.“ Wichtig sei auch ein offener, konstruktiver und wertschätzender Umgang untereinander sowie eine gesunde Feedback-Kultur.
Wie sind Ihre Erfahrungen?
Jetzt sind Sie gefragt: Wenn Sie auch im Fernsehbereich arbeiten sind wir an Ihren Erfahrungen bei Recherche und Dreh interessiert. Arbeiten Sie gendersensibel?
- Wenn ja: Erzählen Sie uns davon! Vielleicht haben Sie weitere Tipps?
- Wenn nein: was hindert Sie daran und was wünschen Sie sich?
Wir freuen uns über Post an kontakt@genderleicht.de
Gendern im Fernsehen, Teil 2
Gendercheck für
gendersensiblen Journalismus
Katalin Vales
REFERENTIN GENDERLEICHT.DE
Sie kennt Print- und Hörfunkredaktionen von innen und stand dem Gendern anfangs skeptisch gegenüber. Doch die vielen Argumente dafür haben die freie Journalistin überzeugt. Inzwischen formuliert Katalin Valeš gendersensibel und hat festgestellt: es geht sehr gut und macht Spaß.
Ideen und Impulse
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