Gendern in Leichter Sprache – eine Anleitung

von | 19. November 2020 | Praxistipps

Auf einer ausgestreckten Hand liegt eine große, weiße Feder

Federleicht, trotz Genderns: Wie Texte leicht verständlich werden können.
© Picture Alliance, Caro

In Sachen Barrierefreiheit stößt das Gendern hin und wieder an seine Grenzen – besonders, wenn es um Varianten mit Sonderzeichen geht. Die größte Herausforderung in dieser Hinsicht stellt das Gendern in Leichter Sprache und Einfacher Sprache dar. Diese vereinfachten Varianten der Standardsprache helfen vor allem Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Texte besser zu verstehen. Aber auch andere Zielgruppen profitieren von Leichter Sprache. Das Problem: Es gibt bislang keine Art zu gendern, die sowohl alle Geschlechter einbezieht als auch ohne Barrieren auskommt. Hier ist also Kompromissbereitschaft angesagt.

In Leichter und Einfacher Sprache richtig gendern

Leichte Sprache muss in allererster Linie verständlich sein. Sprachästhetische Ansprüche treten dabei in den Hintergrund – es kommt auf das Wesentliche an. Genauso verhält es sich mit Einfacher Sprache. Sie folgt weniger strengen Regeln und es gibt mehrere Varianten, die sich in verschiedenen Abstufungen zwischen Leichter und Schwerer Sprache bewegen. Geschlechtergerechtigkeit ist jedoch ein Thema, das auch den Nutzer:innen Leichter und Einfacher Sprache wichtig sein dürfte. Deshalb wird zunehmend darüber diskutiert, welche Arten zu gendern für sie genutzt werden können. Auch die Expert:innen der Initiative Barrierefrei Posten haben sich dazu in einem Twitter-Thread und einer Instagram-Story geäußert.

 

Was ist Leichte Sprache?

Eine leichter verständliche Sprache für Menschen mit Lern- oder Leseschwierigkeiten forderten bereits die Aktivist:innen der Behindertenrechtsbewegung der 1960er Jahre in den USA. Hier in Europa gehörten die skandinavischen Länder zu den ersten, die Leichte-Sprache-Konzepte entwickelten und anwendeten. In Deutschland nahm das Thema im Verlauf der 1990er Jahre Fahrt auf. 2006 gründete sich das Netzwerk Leichte Sprache, das ein Regelwerk für die deutsche Leichte Sprache erstellt hat und herausgibt. Das Konzept entstand aus der Praxis heraus und wurde von Menschen mitentwickelt, die selbst auf die vereinfachte Sprachform angewiesen sind.

Leichte Sprache ist eine stark reduzierte Form des Deutschen, bei der nur leichte Wörter und kurze Sätze verwendet werden. Auf schwierige Strukturen wie zum Beispiel Genitiv-, Passiv- oder Konjunktivformulierungen müssen Schreibende verzichten. Jeder Text bzw. jede Übersetzung in Leichter Sprache muss von einer Prüfgruppe kontrollgelesen werden, die aus Leichte-Sprache-Leser:innen besteht.

Weniger starren Regeln folgt die Einfache Sprache, die sich zwischen Leichter und Standardsprache verorten lässt und zum Beispiel beim Übergang zur Standardsprache nützlich ist. Leichte Sprache richtet sich zwar speziell an Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Aber auch andere Zielgruppen nutzen Leichte und Einfache Sprache. Dazu zählen beispielsweise einige gehörlose Menschen mit der Gebärdensprache als Muttersprache, außerdem funktionale Analphabet:innen und Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, Demenzerkrankte und Hirngeschädigte sowie Menschen, die gerade erst Deutsch lernen.

 

Wann Gendern in Leichter Sprache zu schwierig ist

In Leichter Sprache gilt es, leicht verständliche, möglichst bekannte Wörter zu verwenden. Sonderzeichen dürfen in Leichter Sprache nicht verwendet werden, da sie die Texte zu schwer verständlich machen. Deshalb eignen sich folgende Arten zu gendern nicht für leichte Texte:

  • Binnen-I: LeserInnen
  • Schrägstrich: Leser/innen
  • Sternchen: Leser*innen
  • Unterstrich: Leser_innen
  • Doppelpunkt: Leser:innen
  • und alle anderen Genderzeichen

Beim Gendern in Leichter Sprache müssen Texter:innen und Übersetzer:innen also auf Alternativen umschwenken, auch wenn diese nicht alle Geschlechter einschließen.

 

Zwei Möglichkeiten, leicht zu gendern

Wer in Leichter Sprache gendern will, hat nur zwei Möglichkeiten: Beidnennung und neutrale Formulierung. Bei der Beidnennung, auch genannt Paarform oder Doppelnennung, werden immer die männliche und die weibliche Form genannt, also zum Beispiel „Leser und Leserinnen“. Während die Reihenfolge in Standardsprache der Autorin überlassen ist, empfiehlt das Netzwerk Leichte Sprache, immer die männliche Form zuerst zu nennen – denn die ist kürzer und den Lesenden bekannter.

Die zweite Möglichkeit, in Leichter Sprache zu gendern, sind neutrale Formulierungen – allerdings auch mit Einschränkungen. Nur geläufige neutrale Wörter sind wirklich verständlich genug. Weniger bekannte Wörter dagegen, Partizipien und Neuschöpfungen sind zu schwer.

Beispiele für genderneutrale Formulierungen

Gut geeignet

Mensch / Person / Leute / Mitglied

Nicht geeignet

Mitarbeitende / Interessierte / Leserschaft / Lehrkraft

In Einfacher Sprache gelten dieselben Regeln – die Beidnennung und bekannte neutrale Formulierungen sind am verständlichsten. Manchmal werden aber auch andere Varianten genutzt. Diese sollten dann kurz erklärt werden.

 

Gender-Gap und Genderstern in Leichter Sprache

Mit der Beidnennung werden beim Gendern in Leichter Sprache nur zwei Geschlechter einbezogen. Neutrale Formulierungen können zwar alle ansprechen, doch existieren nicht für alle Wörter bekannte neutrale Alternativen, die in Leichter Sprache erlaubt sind.

Nun gibt es Leichte-Sprache-Expert:innen, die sogar von der Beidnennung abraten und nur das generische Maskulinum als verständlich genug erachten.

Auf der anderen Seite wird geschlechtergerechte Sprache immer wichtiger – spätestens seit der Einführung der Geschlechtsoption „divers“ auch für mehr als zwei Geschlechter. Außerdem können sich auch unter Leichte-Sprache-Nutzer:innen nichtbinäre Menschen befinden. Manche Auftraggeber:innen fordern daher auch in Leichter Sprache ein Gendern mit Sternchen oder anderem Sonderzeichen. Wer in Leichter Sprache auf diese Weise gendert, muss dies aber unbedingt erklären.

Beispielhaft: Erklärung zum Gendern in Leichter Sprache

Geschlechter-gerechte Sprache heißt:

Alle Geschlechter kommen in der Sprache vor.

Nicht nur Männer und Frauen. Auch andere Menschen.

Man hat deswegen in schwerer Sprache Zeichen erfunden.

Zum Beispiel den Gender-Stern:

Politiker*in

Gender-Stern spricht man so: Tschender-Stern.

Mit dem Gender-Stern sagt man:

Alle gehören dazu:

  • Männer
  • Frauen
  • Andere Geschlechter

Im Blogpost „Gendern in leichter Sprache erklärt“ finden Sie den Text in voller Länge.

In Leichter Sprache erklärt

Barrierefrei gendern

Was soll ich beachten?

Portrait Lucia Clara Rocktäschel

© Carolin Mattke

Lucia Clara Rocktäschel

Gastautorin

Diversity-Texterin und -Trainerin. Sie unterstützt weltoffene Unternehmen und Selbstständige dabei, Vielfalt wertschätzend zu kommunizieren – und zwar ohne Moralkeule. Geschlechtergerechte Sprache ist eines ihrer Fokusthemen. Im Februar 2021 ist ihr Buch „Richtig gendern für Dummies“ erschienen.

Ideen und Impulse

Bei Genderleicht & Bildermächtig finden Sie Argumente und Fakten sowie Tipps und Tools für die gendersensible Medienarbeit.

Newsletter

Was gibt es Neues beim Gendern? Was tut sich bei Bildermächtig? Wir halten Sie auf dem Laufenden, immer zur Mitte des Monats.

Willkommen

bei Genderleicht & Bildermächtig vom Journalistinnenbund e.V.: Impulse zu einer gendersensiblen Arbeitsweise für alle Medienschaffende

Blogthemen

Knifflige Fragen zum Gendern? Antworten gibt unser Textlabor

Gezeichnete Glaskolben wie aus einem Chemielabor weisen auf das Serviceangebot des Textlabors hin: Hier bespricht das Team Genderleicht knifflige Textfragen.

… oder dieses Buch

Buchcover Genderleicht