Aus Neugierde gab ich auch das englische Wort „abortion“ ein. Interessanterweise wurden die Ergebnisse dafür dominiert von Fotos von Demonstrationen: Frauen mit Schildern, auf denen „Abortion is Healthcare“ steht, aber auch „Abortion Pills are Murder“, die also sowohl Pro- als auch Anti-Abtreibungshaltungen zum Ausdruck bringen.
Bei beiden Suchen tauchen zudem Bilder von Frauen auf, die nachdenklich oder bedrückt in die Ferne oder auf einen Schwangerschaftstest starren – diese Symbolbilder konnotieren das Thema eher negativ und transportieren überdies keinerlei sachbezogene Informationen.
Einseitig, politisch, fehlerhaft: Die Bildsprache zu Abtreibung
Was beide Suchergebnisse veranschaulichen: Schwangerschaftsabbrüche werden selten sachlich bebildert. Die deutsche Googlesuche suggeriert: Abtreibung geschieht spät in einer Schwangerschaft, fast schon der Kindstötung gleich. Diese Darstellung spielt Abtreibungsgegner*innen in die Hände.
Dabei werden die meisten Schwangerschaftsabbrüche vor der zwölften Schwangerschaftswoche durchgeführt, davon gemäß des Fachverbands Profamilia fast drei Viertel vor der neunten Woche – zu diesem Zeitpunkt ist der Embryo 1,5 bis 2,5 Zentimeter gross. Und: bis zur neuneinhalbten oder zehnten Schwangerschaftswoche ist der Embryo mit blossem Auge nicht erkennbar.
Die englischsprachigen Suchergebnisse hingegen betten das eigentlich medizinische Thema sofort in den zeitgenössischen politischen Kontext der USA ein, wo Schwangerschaftsabbrüche seit 2022 in den allermeisten US-Staaten illegalisiert wurden.
Losgelöst von der Mutter: Der Embryo als Mini-Mensch
Tatsächlich ist das Thema des Schwangerschaftsabbruchs eng mit Storytelling und Fotografie verbunden. Wie die britische Autorin und Kuratorin Lou Stoppard in einem Essay in der Zeitschrift Aperture argumentiert, beruht die Anti-Abtreibungsbewegung auf Fotos von (weit entwickelten) Embryos, die die Existenz des „Menschseins“ vor der Geburt beweisen sollen und damit ihnen Rechte zusprechen wollen. Somit bleibt das Bild vom Embryo als Mini-Mensch statt als Zellklumpen haften.
Hier beginnt denn auch schon das Problem: Bei dieser Art der visuellen Darstellung existiert der Körper der Mutter kaum bis gar nicht, der Fokus liegt eben ganz auf der „Persönlichkeit“ des Embryos, die in diesen Bildern plötzlich losgelöst von der Mutter existiert. Somit wird der Fokus der Debatte auf das „Wohlergehen“ des Fötus und nicht etwa das der schwangeren Person gerichtet – was bisweilen in die medizinische und rechtliche Realität überschwappt.
Was die Bilder über Abtreibung erzählen
Aber Abtreibung ist nicht nur die Geschichte des als schützenswert propagierten Embryos, es ist auch immer die Geschichte einer als von Sorgen und Ängsten geplagten dargestellten schwangeren Person.
Die Wissenschaftlerin und Filmemacherin Franzis Kabisch hinterfragt in ihrem sehenswerten Kurzfilm „Getty Abortions“ diese Darstellung der „depressed woman“: Wieso muss ein Schwangerschaftsabbruch immer negativ konnotiert sein? Gibt es keine anderen Bilder oder Skripte mit erleichterten oder gar fröhlichen Menschen?
Gemäss der britischen Historikerin Clair Wills hat sich im Zuge der Legalisierung von Abtreibung die moralische Last auf die schwangere Person verlegt – sie muss den Entscheid rechtfertigen können und eine gute Begründung bereithaben, auch wenn dies nur das eigene Alter oder den falschen Partner betrifft. So muss in Deutschland vor einem Abbruch ein Beratungsgespräch geführt und danach nochmals drei Arbeitstage über den Entscheid nachgedacht werden – obwohl diese drei Tage psychisch belastend sein können. Um zu betonen, was für ein unfassbar schwieriger und gut durchdachter Entscheid ein solcher Schwangerschaftsabbruch doch ist, haben die Frauen also dementsprechend besorgt in die Kamera oder vielmehr von der Kamera wegzuschauen.
Richtig absurd wird dies, wenn die Headline eines Artikels „Fünf Jahre nach einer Abtreibung überwiegt Erleichterung“ lautet, das Teaserbild aber eine nachdenklich oder bedrückt aus dem Fenster blickende anonyme Frau ist. Dies entspricht zwar einer im Journalismus nicht gerne gesehenen Text-Bild-Schere. Doch beim Thema Schwangerschaftsabbruch eine erleichtert aussehende, gar fröhliche Person zu zeigen, scheint regelrecht unvorstellbar zu sein. Die moralische Last muss schliesslich sichtbar werden, Abtreibung hat eben negativ konnotiert zu sein.
Differenzierte Impulse aus der Fotokunst
Dabei gab es schon früh Künstlerinnen und Fotografinnen, die sich differenziert mit dem Thema auseinandergesetzt haben.
1972 fotografierte etwa die US-amerikanische Fotografin Abigail Heyman die eigene Abtreibung durch ihre Beine hindurch. „Nie habe ich mich mehr als ein Sexobjekt gefühlt, als alleine eine Abtreibung zu durchleben“, schrieb sie über das Schwarz-Weiss-Foto eines Arztes mit unheimlich reflektierender Schutzbrille, Zange in der Hand.
Dann ist da das Projekt einer anonymen Person namens „This is My Abortion“, mit einer versteckten Handykamera aufgenommen, um zu zeigen, wie eine sichere Abtreibung aussehe.
Oder die Künstlerin Laia Abril, die die unglaublich umfassende und mehrere Länder umspannende Arbeit „On Abortion“ gemacht hat, die sowohl als Buch wie auch als Ausstellung zu sehen ist.
Die Ärztin Joan Fleischmann dokumentiert sogar selbst mit der Kamera abgetriebenes Gewebe – um zu zeigen, dass eben keine „fertigen Babies“ zu sehen sind.
Ungewollte Schwangerschaft beenden: Welche Bilder fehlen?
Als Fotografin habe ich mir während der Auseinandersetzung mit diesem Thema selbst immer wieder die Frage gestellt, welche Bilder mir fehlen, um Schwangerschaftsabbrüche besser begreifen und fassbarer machen zu können.
Fotostrecken wie damals im Stern mit der Überschrift „Wir haben abgetrieben“, schwebten mir dabei nicht vor. Ich will keine Personen ausstellen und erneut nach ihren Gründen, ihren Stories fragen.
Stattdessen versuche ich, inspiriert von Heyman, Abril und Fleischmann, möglichst informative und unaufgeregte Fotos zu machen: Wie sieht es im Inneren einer Abtreibungsklinik aus? Welche Ärztinnen setzen sich für reproduktive Gesundheit ein? Welche Instrumente und Medikamente kommen zum Einsatz?
Fotoprojekt Abtreibung von Noemi Ehrat
Eine Gynäkologin erklärt die Optionen beim Schwangerschaftsabbruch:
Die Röhrchen werden bei der Vakuumaspiration verwendet.
Beim Eingriff kann bereits eine Spirale zur künftigen Verhütung eingesetzt werden.
Die Medikamente sind für den medikamentösen Abbruch. Sie können schon zu Hause statt in der Klinik eingenommen werden.
Medizinische Gerätschaften, die beim operativen Abbruch einer Schwangerschaft zum Einsatz kommen: Kugelzangen, Dilatoren und ein Spekulum.
Medizinische Gerätschaften, die beim operativen Abbruch einer Schwangerschaft zum Einsatz kommen: Kugelzangen, Dilatoren und ein Spekulum.
Ich bin überzeugt, dass Fotografie mit ihrem dokumentarischen Anspruch der moralisierten Debatte rund um Abtreibung und der Panikmacherei entgegentreten kann und soll. Damit sich in unseren Köpfen andere Bilder einnisten als diejenigen, die von Abtreibungsgegner*innen instrumentalisiert werden.
Abtreibung: Workshop zum Üben des medizinischen Eingriffs
In sogenannten Papaya-Workshops können sich Medizinstudierende dem Thema Schwangerschaftsabbruch nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch annähern. Da die Papaya in der Form und Konsistenz einem Uterus ähnelt, lässt sich daran die Vakuumaspiration relativ einfach und günstig üben. Diese Workshops werden von Studierenden selbst (z.B. Medical Students for Choice oder Kritische Mediziner*innen) mithilfe von Fachärztinnen (Doctors for Choice Germany) organisiert. Sie sind eine Reaktion auf das fehlende Lehrangebot medizinischer Hochschulen rund um Schwangerschaftsabbrüche.
Noemi Ehrat
Gastautorin
So haben wir von Noemi Ehrats Projekt erfahren
Im Wintersemester 2023/24 hat Bildermächtig an der Hochschule Hannover gemeinsam mit Prof. Lars Bauernschmitt das Seminar „Stereotype in der journalistischen Fotografie“ abgehalten. Noemi Ehrat hat als Studentin daran teilgenommen und ihr Fotoprojekt zu Abtreibung vorgestellt.
Interview Prof. Bauernschmitt
Chancen im Bildjournalismus