Büchertipps: Sprachpolitiken und Gender

von | 3. August 2021 | Rezension, Sprachpolitik, Wissenschaft

Ältere Frau schaut durch ein zusammengerolltes, pinkes Papier

Gendern, eine Ideologie? Richtigerweise ist zu sagen: Es dient dazu, das Verhältnis der Geschlechter genauer zu betrachten.
© AdobeStock, Anton

Sprache ist nie objektiv. Wer im Journalismus arbeitet, weiß das im Grunde. Wie wir die Worte setzen, ist ein hoch subjektiver Moment, der Reflektion erfordert.

Im Zuge der Genderdebatte haben sich die Einsichten neu geschärft: Der Blick auf Männer und Frauen, und auf das Geschlechterverhältnis, das patriarchal geprägt ist. Auf Rollenstereotype, die einengen, und auf Geschlechtszuschreibungen, die in Frage stehen und von einigen Menschen anders gelebt werden.

 

Beweggründe für ein Umdenken

Warum es aus politischer und moralischer Sicht sinnvoll ist, geschlechtergerecht zu kommunizieren, damit setzen sich mittlerweile viele Bücher auseinander. Team Genderleicht hat Werke zum politischen Hintergrund gendergerechter Sprache gesichtet, Klassiker wie Neuerscheinungen. Teil drei unserer Büchertipps zum Gendern.

 

Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik, Luise F. Pusch, (1991/2017) Suhrkamp Verlag

Verblüffend, fundiert und aufschlussreich: Die Linguistin Luise F. Pusch enttarnt das Deutsche als Männersprache. Zahlreiche Belege und Erklärungen zeigen, dass in der deutschen Sprache Männer als Norm und Frauen als Abweichung gelten. Mithilfe vieler Beispiele widerlegt die Mitbegründerin der feministischen Linguistik die Annahme, Frauen seien bei Formulierungen im vermeintlich ‘generischen’ Maskulinum tatsächlich automatisch mitgemeint. Sie weist sogar nach, dass ihnen lange das “Mensch-sein” abgesprochen wurde! Die erste Auflage der Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik erschien bereits vor 30 Jahren, 2017 wurde sie zum zweiten Mal herausgebracht. Erstaunlich, wie aktuell die Texte mit ihren Argumenten für eine geschlechtergerechte Sprache noch heute sind, ebenso wie die erwähnten Gegenargumente. Zugegeben, zuweilen ist die Lektüre recht anspruchsvoll – vor allem der vordere Teil des Buches hat es in sich. Doch die pointierten Analysen und der feministische Blick auf die deutsche Sprache fördern erstaunliche Erkenntnisse zu Tage. Genderleicht-Tipp: Zuerst mit den kurzweiligen Glossen ab Seite 147 beginnen und dann die wissenschaftlichen Aufsätze ab Seite 15 lesen. Luise F. Pusch ist Pflichtlektüre für alle, die mit Sprache zu tun haben – sie werden Texte danach mit anderen Augen lesen!

Katalin Valeš

 

Sprache und Sein,
Kübra Gümüsay, (2020) Verlag Hanser Berlin

Statt fertiger Lösungsansätze wirft dieses Buch vor allem Fragen auf und erläutert Probleme. Dadurch wird eindrucksvoll das Bewusstsein für den Zusammenhang von Diskriminierung und Sprache geschärft, werden zahlreiche Denkanstöße gegeben. Sprache kann unsere Welt begrenzen, aber auch öffnen. Kübra Gümüşay zeigt, wie sehr sich die Perspektive, aus der wir sprechen, auf die Wahrnehmung unserer Realität auswirkt. Dabei geht der Blick der Autorin weit über gendersensible Sprache hinaus und verdeutlicht vor allem im Bereich von Rassismus, wie mächtig Sprache sein kann. Vieles davon lässt sich ohne weiteres in andere Themenfelder übertragen. Eindrucksvoll zeigt die Journalistin und feministische Bloggerin den Unterschied zwischen „benennenden Unbenannten” und den „Benannten” – zwei Sorten von Mensch mit höchst unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten. Eine wichtige Auseinandersetzung, mit der sich die eigenen Sprachgewohnheiten kritisch auf den Prüfstand stellen lassen.

Katalin Valeš

 

Sprachkampf: Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert,
Henning Lobin, (2021) Dudenverlag

Es ist ein Paradox: Während immer mehr Menschen von der Richtigkeit geschlechtergerechter Sprache überzeugt sind, bleibt der Widerstand gegen das Gendern laut und vernehmlich. Viele Medien präsentieren die Genderfrage fortlaufend als Pro & Contra. In der Wiederholung entstellender Argumente wirken sie am schlechten Ruf des Genderns mit. Prof. Henning Lobin, Direktor des Leibniz Instituts für deutsche Sprache in Mannheim, beobachtet seit Jahren, dass es eine professionell organisierte Gegnerschaft gibt. Deren Einfluss reicht bis in konservative Medienhäuser, die den Genderkritiker*innen bereitwillig die Bühne bieten. Gendern ist “politisch aufgeladen” schreibt Lobin. Im Interview mit Genderleicht erklärte er, dass er sein Buch “Sprachkampf – Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert” als Weckruf verstanden wissen will. Denn es geht um mehr als um Sprache.

Christine Olderdissen

 

Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen,
Anatol Stefanowitsch, (2018)  Dudenverlag

Politisch korrekte Sprache nervt Viele. Sie ist zuweilen umständlich, erfordert Nachdenken und manche sehen im Gendern oder der Umbenennung von Straßen- und Apothekennamen einen Angriff auf ihre Meinungsfreiheit. Doch was genau spricht eigentlich gegen eine Sprache, die niemanden abwertet – und was spricht dafür? In diesem 56 Seiten umfassenden Büchlein aus dem Jahr 2018 beleuchtet Anatol Stefanowitsch häufig genannte Argumente von Menschen, die sich gegen diskriminierungsfreie Sprache wehren. Dabei geht es neben gendersensiblen Ausdrucksformen auch um zahlreiche andere Begriffe des täglichen Lebens. Besonders aufschlussreich ist der analytische Blick auf Schimpfwörter: für wen und welche Gruppen gibt es Schimpfwörter und für wen nicht? Was hat die ungleiche Verteilung der Möglichkeiten, andere zu diskriminieren, mit Machtstrukturen zu tun? Aha-Erlebnisse  sind hier garantiert. Ziel der Streitschrift ist es nicht, Meinungen zu verbieten oder expliziten Hass zu verhindern. Vielmehr geht es darum, versteckte Diskriminierung offenzulegen und dabei deutlich zu machen, wie Sprache wirkt – aktueller denn je! Geeignet für alle, die von politisch korrekter Sprache nichts halten – und für alle anderen erst recht.

Katalin Valeš

 

Zur Notwendigkeit geschlechtergerechter Sprache im Journalismus,
Marieke Reimann – in: Fake News, Framing, Fact-Checking: Nachrichten im digitalen Zeitalter, (2020) transcript Verlag

Sollen wir es wagen oder besser nicht? Vor dieser Frage stand die Redaktion der ze.tt, das junge Angebot der ZEIT 2016, als die Einführung von geschlechtergerechter Sprache in der deutschen Medienlandschaft lange nicht so präsent war wie heute und erst recht nicht so heiß diskutiert wurde. Entschieden hat sie sich dafür und es bis heute nicht bereut. Im April 2016 hielten der Genderstern und neutrale Formulierungen Einzug in den Redaktionsalltag. Das Ziel war und ist, die Lebenswirklichkeiten der jungen diversen und global vernetzten Zielgruppe authentisch abzubilden. Was es dafür braucht, ist eine ebenso vielfältige und inklusive Berichterstattung, hat Marieke Reimann, ehemalige Chefredakteurin der ze.tt., frühzeitig erkannt. Sie nimmt uns in ihrem Bericht an die Hand, gewährt Einblicke in die Beweggründe, Vorbehalte, Gewöhnungseffekte, Erfolgserlebnisse und den Umgang mit Kritik, die das ze.tt-Team durchlaufen hat. Der Text beschränkt sich dabei auf ihre Perspektive und ist Teil eines umfangreichen Handbuchs zu Nachrichten im digitalen Zeitalter. Alles in allem ist ihr Kapitel vor allem aber eins: ein Plädoyer zur Einführung von gendersensibler Sprache in der Medienberichterstattung. Und ein Mutmacher für alle Redaktionen, die unsicher sind oder noch mit sich hadern.

Johanna Bamberger

 

Genderlinguistik: Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht,
Damaris Nübling, Helga Kotthoff,  (2018) Narr Francke Attempto Verlag

Für alle, die es ganz genau wissen möchten, lohnt sich ein Blick in das umfangreiche Nachschlagewerk der renommierten Linguistik-Professorinnen Damaris Nübling und Helga Kotthoff. Beiden gelingt es, auf den 350 Seiten verständlich Fachwissen aus verschiedenen linguistischen Teilgebieten zu vermitteln, darunter Syntax, Semantik, aber auch die Soziolinguistik oder die Rolle der Massenmedien. Dadurch entsteht ein vielseitiger Einblick in das Verhältnis von Geschlecht und Sprache. Aber keine Angst: Die enge Verwobenheit wird mit vielen Beispielen illustriert, wodurch sich das Buch gut für den Einstieg lohnt, aber auch Fortgeschrittene etwas Neues entdecken können.

Johanna Bamberger

 

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