Beginnen wir mit der Definition: „Nicht-binär“, „non-binär“ oder „non binary“ bedeutet schlicht, dass sich jemand nicht in das zweigeteilte = binäre Geschlechtersystem von Mann und Frau einordnen kann oder möchte. Noch immer ist das für viele Menschen, die es selbst nicht betrifft, ein rotes Tuch.
Medien, die sich zu mehr Vielfalt bekennen, werden schnell als „woke“ angegriffen. Dabei bezeichnet das englische „woke“ übersetzt nur „Wachsamkeit“ – gegenüber Diskriminierung und Missständen. Doch was für die Einen notwendig und natürlich ist, wie etwa das Gendern, Vielfalt oder Klimaaktivismus, ist für die anderen ein Kampfbegriff gegen das traditionelle, binäre Rollenverständnis von Mann und Frau.
Wo und wie geht es in den Medien um „nicht-binär“?
Nicht-binäre Autor*innen sind in den Medien immer noch eine verschwindende Minderheit. Unter den bekannteren ist Hengameh Yaghoobifarah, Romanautor*in und als Kolumnist*in gelegentlich in der taz zu lesen. In queeren Medien wie etwa dem Missy Magazin oder dem Berliner Stadtmagazin Siegessäule kommt das Thema häufig vor. So umfassen Kulturevents und Musik Künstler*innen unterschiedlichster Genderidentitäten und Selbstzuschreibungen.
Porträts nicht-binärer Personen zeigen ein recht unterschiedliches Bild: Vielen ist ihre geschlechtliche Identität nicht anzusehen, einige geben einen Hinweis durch ihr Styling: Geschlecht hat viele Facetten.
Das Onlinemagazin Amazed stellt ein Gemälde dreier barocker Grazien von Peter Paul Rubens neben den Titel und schummelt sich so aus dem Problem der Bebilderung heraus.
Die taz bebildert einen Artikel von Hengameh Yaghoobifarah zum Tag der non-binären Sichtbarkeit (14.7.) mit einem Foto, dessen Bildunterschrift fragt: „Eine Körperhälfte stereotyp maskulin, die andere stereotyp feminin: geiler Look oder Horrorshow?“ Ein reichlich binärer Versuch, das Thema bildlich begreifbar zu machen.
Kulturkampf um die Identität
Die Uneindeutigkeit der Geschlechteridentität, die „Ungeheuerlichkeit“, dass Menschen sich anders fühlen und gar für ein anderes Geschlecht entscheiden, als das ihnen bei der Geburt zugewiesene, verunsichert manche Leute so stark, dass darüber ein regelrechter Kulturkampf entbrannt ist.
Provokant titelt das Magazin EMMA, dass non-binär „echt reaktionär“ sei. Im Bericht geht es um Nemo, Sieger*in des Eurovision Song Contest 2024 (ESC), und den gescheiterten Versuch, für mehr Akzeptanz von Nicht-binarität in der Schweiz zu werben. Dass Nemo dabei misgendert wird, passiert mit voller Absicht. Die Wochenzeitung Der Freitag titelt: „Nemo und Nonbinarität: Deutschland ist mal wieder überfordert“. Immerhin zeigen beide Artikel die Hauptperson Nemo.
Was in dieser emotional geführten Debatte oft übergangen wird, ist, dass in anderen Kulturen durchaus mehr als nur zwei Geschlechter anerkannt sind. Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt dies so: „Weltweit existieren Alternativen zu der Zweigeschlechterordnung von Mann und Frau – beispielsweise im indigenen Nordamerika, in Thailand und Indien.“ Außerdem belegen Studien, dass es schon in der Stein- und Bronzezeit Menschen gab, die weder als Frau noch als Mann gelebt haben.
Bilder nicht-binärer Menschen in den Medien
Doch wie werden Menschen, die sich als nicht-binär definieren, in den Medien gezeigt? Was ist an deren Darstellung klischeehaft, und was kann Außenstehenden helfen „sich ein Bild zu machen“?
Als Nemo im Mai 2024 den ESC gewann, gab es, ähnlich wie bereits 2014 bei der österreichischen Siegerin Conchita Wurst, außerordentliche Freude in der LGBTIQ+-Community, andererseits aber auch Beiträge, die erst einmal erklärten, was dieses „neue“ Wort eigentlich bedeutet. Der Schweizer Rundfunk SRF etwa schrieb am 14.5.2024: „Sieg von Nemo am ESC: They, xier, en: Wie soll ich non-binäre Menschen ansprechen?“. Doch das Aufmacherfoto zeigt nicht etwa Sänger*in Nemo. Stattdessen wurde der Artikel online mit einem völlig austauschbaren Foto einer LGBTIQ+-Veranstaltung bebildert.
Monate später haben sich die Bilder normalisiert. Bei einer Online-Recherche nach „Nemo“ und „ESC“ tauchen Artikel über die politische Forderung nach dem dritten Geschlechtereintrag in der Schweiz auf, wofür sich Nemo engagiert. Was in Deutschland seit 2019 mit der Änderung des Personenstandsrecht möglich ist, scheint bei den Eidgenoss*innen noch Zukunftsmusik.
„Nicht-binäres Aussehen gibt es nicht“
… schrieb Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah 2021 in der taz. Wenn es also stimmt, dass es nicht das eine Erscheinungsbild nicht-binärer Menschen gibt, ist die Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft gefragt. Und das Verständnis, dass es auf die Selbstdefinition ankommt, die einige mit extravagantem Styling deutlich machen und andere eben nicht.
Durch nuancierte Darstellungen in den Medien lernt das Publikum, Vorurteile abzubauen. Dabei geht es nicht nur um Geschlecht, Identität und sexuelle Orientierung. Es geht schlicht um menschliche Erfahrungen, die ebenso komplex, vielfältig und bunt sind, wie bei anderen Zeitgenoss*innen. Je mehr Menschen nicht-binäre Charaktere sehen, erleben und sich mit ihnen identifizieren können, desto mehr löst sich das Stigma auf und ebnet den Weg für mehr Akzeptanz und Rechte im Alltag.
Beispiele für nicht-binäre Repräsentation
In Berlin zeichneten 2015 das Deutsche Historische Museum (DHM) und das Schwule Museum die Kulturgeschichte der homosexuellen Emanzipationsbewegung in Deutschland nach. Was sich im ersten Moment binär anhörte, wurde durch das bis heute vielleicht aufsehenerregendste Ausstellungsplakat in ein neues Licht gerückt.
Das Plakat zeigte das Körpermodifikationsprojekt „Advertisement: Homage to Benglis“ aus der Serie „CUTS: A Traditional Sculpture“ von Cassils, Künstler*in aus Kanada. Über 100.000 Besucher*innen sahen die Ausstellung an den beiden Standorten. Als sie in der Folge auch im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster gezeigt werden sollte, sorgte das Plakat plötzlich für Irritationen bei der Deutschen Bahn – die sich zunächst weigerte, es aufzuhängen. 2015 hingegen hatte das Plakat in Berlin im öffentlichen Raum und auch in Bahnhöfen gehangen. Es kam zu Protesten und die Bahn lenkte schließlich ein.
Bildersuche mit dem Begriff „nicht-binär“
Wer derzeit bei Google und in Bildagenturen „nicht-binär“ oder dem englischen Äquivalent sucht, erhält interessante Ergebnisse, Tendenz steigend:
- Google: 336.000 Treffer (nicht-binär) oder 517.000.000 Treffer (non-binary)
- Picture Alliance: 5013 Treffer (non-binary), 249 Treffer (nicht-binär)
- Getty Images: 21.271 Treffer (non-binary)
- Shutterstock: 36.308 Treffer (non-binary)
- Imago: 20.628 Treffer (non-binary), 781 (nicht-binär)
Das wirkt imposant. Häufig handelt es sich jedoch um austauschbare Fotos aus dem queeren Universum wie etwa CSD-Paraden oder Menschen in Drag. Das Spiel mit den Geschlechtern und das Ausleben weiblicher wie männlicher Anteile ist aber nicht automatisch nicht-binär. Auch cis Personen können mit dem Rollenwechsel spielen.
Weniger Probleme mit dem Vorzeigen nicht-binärer Personen haben Artikel, die sich um Prominente drehen, wie Nemo, Demi Lovato oder Hengameh Yaghoobifarah.
Mangel an Authentizität
Misgendering, also die durchgängige Verwendung falscher Pronomen oder die Ansprache mit binären Begriffen, ist nach wie vor ein Problem bei der Darstellung non-binärer Personen. Dies untergräbt nicht nur die Lebensrealität der Betroffenen, sondern führt zu einer Verfestigung binärer Geschlechterverhältnisse.
So geschehen als Maja T. im Juli 2024 bei einer Nacht-und Nebelaktion nach Ungarn ausgeliefert wurde. Von jetzt auf gleich mussten Nachrichtenredaktionen über eine nicht-binäre Person berichten. Für viele war das eine sprachliche Herausforderung, die bei einigen Berichten gründlich schief lief.
Inklusiv Geschichten erzählen – so geht es doch
Intersektionalität, die eine Verflechtung von Identitäten wie Ethnie, soziale Klasse oder Behinderung berücksichtigt, wird bei der Darstellung non-binärer Menschen häufig übersehen. Um die Inklusion zu verbessern, hilft es, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen und Stereotypen, die mit bestimmten Identitäten verbunden sind, zu vermeiden. Es besteht ein dringlicher Bedarf an Narrativen, welche die Erfahrungen von nicht-binären Personen mit unterschiedlichem Hintergrund, unterschiedlicher Kultur und Identität widerspiegeln.
Dass in den Mainstream-Medien das Thema inzwischen aufgegriffen wird, deutet auf eine Normalisierung hin. So etwa im Spiegel, wo ein Artikel über Demi Lovato die selbstgewählten Pronomen „they/them“ angibt, oder im Focus, der erklärt, was „hinter der Bezeichnung“ non-binär steckt – wenn gleich wieder neutral bebildert mit einem Foto aus dem CSD-Kosmos.
Und nicht nur das. Der Focus-Bericht ruft dazu auf, sich über nicht-binäre Identitäten weiterzubilden und Empathie zu entwickeln: „Verständnis fördert ein unterstützendes Umfeld, in dem Menschen frei von Vorurteilen leben können.“
Mit dem weitverbreiteten Glauben, dass Texte wegen „Gendersternchen“ oder der Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechtszuschreibungen unlesbar werden, räumt der Berliner Tagesspiegel auf. Der Bericht über die Arbeit von Ahnenforscher*in Yeshi Rösch ist gendersensibel geschrieben und bebildert.
Das TV-Porträt der BR-Frankenschau über David Jeldrik Spectra Blackwell aus Nürnberg lässt eine non-binäre Person selbst über Identität, Wechsel des Vornamens und die richtige Anrede sprechen.
Was bedeutet „nicht-binär“?
Nicht-binär oder non-binär ist die Sammelbezeichnung für Geschlechteridentitäten von Menschen, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifizieren und die sich außerhalb der zweigeteilten, also binären Geschlechterordnung sehen.
Darunter fallen auch Begriffe wie genderqueer, gender-nonkonform, transgender, genderfluid, bi-gender, pan-gender, tri-gender, a-gender, demi-gender oder abinär. Der letzte Begriff wird häufig in Selbstbezeichnungen gewählt, weil er anders als in der Wortbildung mit nicht-(binär) gerade nicht als ein Moment des Fehlens oder Mangels verstanden werden kann.
Ähnlich wie bei der sexuellen Orientierung geht es bei der Geschlechteridentität darum, wie sich ein Mensch selbst fühlt, sieht und schlussendlich auch bezeichnet.
Tipp: Bei nonbinary.ch gibt es einen → Medienguide für nonbinäres Geschlecht
Sonya Winterberg
Gastautorin
Bevor sie im Dezember 2022 Chefredakteurin von L-MAG – Magazin für Lesben, wurde, schrieb sie bereits viele Jahre für das Heft, das im Berliner Special Media Verlag erscheint. Die freie Publizistin arbeitet außerdem als Regisseurin im Dokumentarfilm und schreibt Sachbücher. Zuletzt erschien von ihr „Gebrauchsanweisung für Kanada“ im Piper Verlag.
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