Genderbias – Vorurteile im Journalismus

von | 20. Februar 2020 | Gendern im Journalismus, Sprachpolitik

Unser Gehirn ist ein erstaunlicher Apparat: Binnen Sekunden kann es völlig unbekannte Menschen in Schubladen einordnen. Machen Sie einmal selbst den Test, schauen Sie sich im Café eine beliebige Person an und überlegen Sie, was diese*r Unbekannte wohl beruflich macht. Wahrscheinlich haben Sie sehr schnell eine Idee.

Ob Ihre Vermutung zutreffend ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber entscheidend ist: Ihr Gehirn kann das. Es kann einer völlig unbekannten Person anhand äußerer Merkmale sofort Eigenschaften zuordnen. Ihr Gehirn muss das auch können, denn in einer Notsituation zum Beispiel müssen Sie in Sekundenschnelle entscheiden, ob ein Mensch eine Gefahr oder potentielle Hilfe darstellt. Die Fähigkeit, fremde Menschen blitzschnell in Kategorien einzuordnen, ist also überlebensnotwendig. Gleichzeitig jedoch sind diese Kategorien nichts anderes als unbewusste Vorurteile, auch „unconscious bias“ genannt.

Das Problem an der Geschichte ist das Folgende: Manchmal – eigentlich sogar sehr oft – tun wir Menschen mit unserer Einordnung Unrecht. Beispielsweise wenn wir eine Person auf Grund ihres Geschlechts automatisch als weniger fähig einschätzen – in der Regel Frauen.

 

Wie Medien unbewusst Vorurteile prägen

In ihrem Buch „Blindspot – Hidden Biases of Good People“ gehen die US-amerikanischen Wissenschaftler:innen Mahzarin R. Banaji und Anthony G. Greenwald dem Phänomen unbewusster Vorurteile auf den Grund und kommen bei der Frage, wie diese Schubladen in unsere Köpfen gelangen, zu einer klaren und logischen Antwort: Medienbilder.

Dass Medien erheblichen Einfluss darauf haben, wie wir unsere Welt erleben, interpretieren und uns in ihr verhalten, ist eigentlich logisch. Dass wir aber auch unser tiefstes, nämlich unbewusstes Verständnis der Welt aus den Medien beziehen, drohen wir oft zu vergessen. Zum Beispiel dann, wenn wir über die Darstellung Repräsentation geschlechtlicher Vielfalt in Film und Fernsehen diskutieren. Es geht bei der Frage danach, ob in Nachrichten und Reportagen alle Geschlechter gleichermaßen vertreten sein sollten, ja nicht nur um eine Frage der zahlenmäßigen Sichtbarkeit. Es geht auch darum, welches Bild von Frauen, Männern und queeren Personen diese Formate vermitteln.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Heutzutage diskutieren wir viel darüber, welchen Anteil an der häuslichen Sorgearbeit Männer und Frauen übernehmen. 2019 vermeldete der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, dass Frauen im Schnitt 52,5% mehr sogenannte „Care Arbeit“ übernehmen als Männer, wobei bei Paaren mit Kindern der „Gender Care Gap“ sogar bei 83,8% liegt!

Aber was hat das mit unbewussten Vorurteilen zu tun? Eine ganze Menge. Wie wir Aufgaben im Haushalt verteilen, welche Aufgaben wir selbstverständlich übernehmen und über welche überhaupt erst diskutiert wird, steht in direktem Zusammenhang mit unserer Vorstellung davon, was „Frauenarbeit“ und „Männerarbeit“ ist. Wie tief diese Ideen in uns verwurzelt sind, ist uns oft gar nicht bewusst, ja, oft streiten wir derartige sexistische Denkmuster sogar ab. Die Autor:innen von „Blindspot“ haben einen Test entwickelt, mit dem Sie im Internet unter anderem überprüfen können, ob sie Frauen beziehungsweise Männer eher mit Karriere oder Familie assoziieren. Aber Achtung: Ihr Testergebnis könnte Sie schockieren!

 

Journalismus trägt Verantwortung

Aber zurück zu den Medienbildern: Ein Weg, diese unbewussten Denkstrukturen zu verändern, die sich in unser aller Leben niederschlagen, ist ein gendersensibles Arbeiten von Journalist*innen und anderen Medienmacher*innen. Überprüfen Sie sich selbst: Wer ist Interviewpartner*in für einen Beitrag über Haushaltsthemen und wer die Fachperson, die zu Wirtschaftsthemen vor die Kamera tritt? Wer ist auf den Bildern zu sehen, die einen Erziehungsratgeber illustrieren, wer in einem Artikel über den aktuellen Stand der Krebsforschung?

Das Geena Davis Institute on Gender in Media hat seit seiner Gründung immer wieder nachgewiesen, wie stark sich fiktionale Medieninhalte beispielsweise auf das Selbstbewusstsein von Mädchen auswirken: Die Reduktion von Frauenrollen im Kinderfernsehen auf Prinzessinnen und Mütter beschränkt das junge Zielpublikum in seinen Perspektiven auf die eigene berufliche Zukunft. „If she can see it, she can be it“ ist der Slogan des Instituts. Oder wie Maria Furtwängler es für den deutschen Markt adaptierte: „Sichtbar ist machbar“.

 

Schubladen erkennen – und sprengen!

Und das gilt eben nicht nur für fiktionale Medieninhalte, sondern natürlich auch für non-fiktionale Produktionen, egal ob in Print- und Onlinemedien, im Radio oder Fernsehen. Eine geschlechtergerechte Gesellschaft braucht geschlechtergerechte Medienbilder. Neue Bilder schaffen neue Ideen davon, wer und was Menschen sein können. Und sie weiten den Blick, um über die Ränder unserer Schubladen hinweg die Vielfalt der Gegenwart zu sehen. Damit können wir als Journalist*innen jeder Zeit anfangen: Brechen Sie aus Ihren Schubladen aus, suchen Sie Protagonist*innen und Bildmaterial jenseits gängiger Stereotype. Damit leisten sie nicht nur einen Beitrag zur gleichberechtigten Repräsentation unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen bei, sondern auch zu einer gerechteren Gesellschaft!

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Sophie Charlotte Rieger

Gastautorin

Die Journalistin und Bloggerin betreibt das feministische Filmmagazin FILMLÖWIN und gibt Workshops zu gendersensiblem Film- und Medienschaffen. 2017 war Sophie Charlotte Rieger als Referentin an den Vorarbeiten für das Projekt Genderleicht beteiligt.

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