Olympiahoffnung: Mehr Frauen im Sport und im Sportjournalismus

von | 7. Juli 2021 | Erfahrungsberichte, Gendern im Journalismus

Olympiaringe mit Fahrradfahrerin kopfüber

Berichtenswerte Spitzenleistung in Tokio: Bronze für die BMX-Radsportlerin Nikita Ducarroz.
© Picture Alliance, Marijan Murat

Die Olympischen Spiele in Tokio stehen vor der Tür! Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat soeben die Medien in einem offenen Brief dazu aufgerufen, mehr über Sportlerinnen zu berichten. Es ist an der Zeit.

Der DOSB weist daraufhin, dass dies „die ersten geschlechterparitätischen Olympischen Spiele in der Geschichte“ sein werden, denn zum ersten Mal gehen gleich viele Athletinnen wie Athleten an den Start. Doch von Olympischen Spielen abgesehen erhalten Sportlerinnen „nur 10 % der medialen Aufmerksamkeit“, so der DOSB.

 

Athletinnen sind in der Berichterstattung benachteiligt

Im Sportjournalismus beobachten wir dennoch erste Verbesserungen in Sachen Gleichstellung, Vielfalt und sprachlicher Sensibilität. In die EM-Plauderrunde der ARD waren zwei erfolgreiche Fußballexpertinnen ins Fernsehstudio eingeladen: Die Torhüterin Almuth Schult und die Bundestrainerin der deutschen Fußballfrauen, Martina Voss-Tecklenburg, analysierten den sportlichen Wettkampf der Männer. Die junge Fußballreporterin Esther Sedlaczek wechselt in Kürze zur ARD und wird dort die Sportschau moderieren. Und auch das das ZDF setzt auf eine vielfältigere Gestaltung seiner Sportformate. Nicht nur Männer stehen vor der Kamera, moderieren, kommentieren und berichten über großartige Sportevents.

Über den Einfluss der Genderdebatte auf den Sportjournalismus haben wir mit Ulrike Spitz, Pressesprecherin des Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), Stefanie Opitz, langjährige Sportjournalistin und Reporterin für das ZDF, und Nina Probst, Chefredakteurin des Sportblogs Sportfrauen.net, gesprochen.

Engagement beim Deutschen Olympischen Sportbund

Beim Blick auf die Website des DOSB fällt auf: Es gibt eine positive Entwicklung hin zu mehr Vielfalt. Der DOSB fördert mit mehreren Projekten bundesweit die Gleichstellung der Geschlechter im organisierten Sport.

Sport und Trans*, wie stellt sich der DOSB dem Thema?
„Der Sport ist sehr stark an die binäre Geschlechterordnung gebunden, weil die Leistungen in den meisten Sportarten nicht vergleichbar sind. Wenn man den gleichen Trainingszustand und das gleiche Talent nimmt, ist ein 100 Meter Sprint von Frauen einfach nicht so schnell wie ein 100 Meter Sprint der Männer. Es gibt noch keine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung, wie man Menschen der dritten Option in das Wettkampfsystem integrieren kann. Unsere Aufgabe ist es, viel zu beraten und aufzuklären, um Vorbehalte oder Ängste abzubauen. Wir haben auch viel Kontakt mit Expert*innen und beteiligen uns von Beginn an seit 2018 als Mitorganisator*innen an der Bundesnetzwerktagung der queeren Sportvereine (BUNT).“
Ulrike Spitz, Pressesprecherin DOSB

In der Sprache gibt es sichtbare Veränderungen. Auf den Webseiten des DOSB oder in seinen Publikationen lassen sich gendersensible Schreibweisen finden, sei es die Beidnennung, das Binnen-I oder das Gendersternchen. Sie sind ein Zeichen für den entspannten Umgang und die bereits vorhandene Sensibilität gegenüber Gleichberechtigung und Gleichstellung aller Geschlechter.

Wie steht der DOSB zum Genderstern?
„Wir haben uns mit unseren Expert*innen aus den Bereichen Gleichstellung beraten, Wir haben dem Vorstand vorgeschlagen, dass wir das Gendersternchen einführen, und dem hat er zugestimmt. Diese Schreibweise haben wir dann als Empfehlung ausgegeben und sie nicht von oben übergestülpt. Das Sternchen hat sich bei uns mittlerweile sehr gut durchgesetzt.“
Ulrike Spitz, Pressesprecherin DOSB

Sportberichterstattung im ZDF

Stefanie Opitz ist seit über 20 Jahren freie Reporterin für eine der größten Sendeanstalten Deutschlands. Sie war für das ZDF bei unzähligen Großveranstaltungen wie Olympische Spiele, Welt- oder Europameisterschaften im Fußball oder im Wintersport und auch bei Leichtathletikmeisterschaften als Redakteurin live dabei.

Hat sich die Arbeit im Sportressort verändert?
„Vor 20 Jahren war der Umgangston noch viel rauer. Und man hat eben bei sexistischen Witzen mitgelacht, weil man dazugehören wollte. Das mache ich heute nicht mehr. Da kommt von mir direkt eine Erwiderung. Heute ist es schon ein anderer Umgang und ich fühle mich als Frau akzeptiert und angenommen. Das Problem ist, dass wir überwiegend über Männersport berichten. Auch das Publikum ist stark männlich geprägt. Und solange wir nicht auch gleichberechtigt über Frauensport berichten, klammern wir eine große Zielgruppe immer noch aus, nämlich Frauen.“
Stefanie Opitz, Sportreporterin ZDF

Der Sportblog Sportfrauen.net

Dem Fokus auf Männersport hat die Augsburger Journalistin Nina Probst ein interessantes Projekt entgegengesetzt: Der Sportblog Sportfrauen.net berichtet ausschließlich über Frauen im Sport, und zwar in allen Disziplinen. Im Frühjahr 2021 wurde er mit dem „Goldenen-Blogger Award“ in der Kategorie „Beste(r) neue(r) Medienmacher*in“ ausgezeichnet. Ein deutliches Zeichen, dass eine Veränderung in der Sportberichterstattung angesagt ist.

Ein Blog über Frauen im Sport – wer liest ihn?
„Der Großteil unserer Leser*innen bringt ein Interesse für Frauen im Sport mit. Da verändert sich gerade etwas. Es kommen auch Leser hinzu, die sich vorher nicht interessiert haben oder die aus rein männergetriebenen Riegen kommen. Unsere Leser*innen sind uns gegenüber meist positiv. Durch die Auszeichnung haben wir aktuell mehrere Anfragen von Journalist*innen, die über uns berichten wollen. In den letzten Wochen und Monaten sind immer mehr Redaktionen auf uns zugekommen, suchen Rat bei uns und möchten wissen, wie sie es schaffen, über mehr Frauen im Sport zu berichten, und wie sie da Zugänge bekommen.“
Nina Probst, Chefredakteurin Sportfrauen.net

Warum legen die meisten Sportredaktionen den Fokus auf den Männersport?
„Man interessiert sich nur für die Dinge, die in den Medien publiziert werden und nicht für das, was da nebenbei noch passiert. In den Medien wird es oft so gespielt, dass Frauen im Sport nebenbei passieren und nicht den gleichen Stellenwert haben wie Männer. Die Ausrichtung der Sportberichterstattung, was die Themenwahl betrifft, hat eine sehr große Macht. Dadurch lässt sich auch das Interesse verändern.“
Nina Probst, Chefredakteurin Sportfrauen.net

Frauen im Sportjournalismus sind immer noch eine Seltenheit. Genauso wie die Berichterstattung über Frauen im Sport, worauf der DOSB am 7. Juli mit seinem offenen Brief hingewiesen hat. Um das Spektrum zu erweitern, vernetzen sich Sportjournalistinnen zunehmend und haben bereits neue Formate entwickelt. Neben Sportfrauen.net gibt es zum Beispiel das Podcast-Projekt „Frauen reden über Fußball“ (FRÜF) – und eben den Blog Sportfrauen.net.

Ein Blick auf die Sprache: Bei Sportfrauen.net lassen sich, ähnlich wie beim DOSB, unterschiedliche Schreibweisen finden. Eine gendersensible Sprache ist schon mal ein guter Anfang, oder?
„Ich stehe dem Ganzen ein bisschen skeptisch gegenüber. Ich glaube, dass durch das Gendern die Leute erreicht werden, die klassische Stereotype nicht im Kopf haben. Diese Personen sind schon sensibilisiert und die muss ich nicht extra überzeugen. Die gendersensible Sprache allein hat, glaube ich, nicht die Macht so viel zu bewegen“.
Nina Probst, Chefredakteurin Sportfrauen.net

Mehr Journalistinnen im Sportressort, ein Wunschgedanke oder bald Realität, Stefanie Opitz?
„Ich bin sicher, es gibt viele sehr gut geeignete Frauen, nur es gibt wenige Vorbilder. Mir muss klar sein, dass ich mich in einen Bereich begebe, in dem ich mich der Konkurrenz und der Kritik stellen muss. Viele sprechen auch von dem sogenannten dicken Fell. Doch ich möchte mir kein dickes Fell anschaffen. Ich möchte so bleiben wie ich bin. Denn, wenn ich mir ein dickes Fell überziehe, erbringe ich wieder die Anpassungsleistung an das männlich geprägte System, um akzeptiert zu werden. Und in dem System sind auch Männer tätig, die an dem festhalten wollen, was sie immer schon gemacht haben.“
Stefanie Opitz, Sportreporterin

Am Tiefpunkt: Hass und Häme von Zuschauern

Während der Fußballeuropameisterschaft der Männer hat das ZDF vermehrt Live-Reporterinnen eingesetzt. Die Reaktionen im Internet waren beleidigend und hasserfüllt. Die ZDF-Sportredaktion stellte sich auf Social Media hinter die Frauen. Auch der ZDF-Fernsehrat verurteilte die Beleidigungen der EM-Kommentatorinnen.

 

Tweet des ZDF Sportstudio

Wie sehen das Stefanie Opitz und Nina Probst?
„Solange Claudia Neumann die einzige Frau in Deutschland ist, die Männerfußball live reportiert, wird sie auch immer Exotin bleiben. An der ein oder anderen Stelle wird inzwischen eine Frau eingesetzt, im Winter war das zum Beispiel Anja Fröhlich beim Biathlon. Die Reaktionen im Netz waren entsprechend. Es gibt immer viele negative Kommentare, wenn erstmalig eine Frau live kommentiert.“
Stefanie Opitz, Sportreporterin

„Als Frau muss man leider damit rechnen, dass man mal angegangen wird, weil man eine Frau ist. Da würde ich mir wünschen, dass sich Frauen trotzdem trauen, in die Bereiche zu gehen. Nur dann kann es normal werden, dass Frauen auch im Sport berichten oder moderieren.“
Nina Probst, Chefredakteurin Sportfrauen.net

Ein positiver Blick in die Zukunft

Für die künftige Sportberichterstattung geht Sportfrauen.net mit gutem Vorbild voran und bewirkt in manchen Sportredaktionen vielleicht auch schon ein Umdenken.

Was muss sich noch verbessern, Nina Probst?
„Ich wünsche mir ein größeres Bewusstsein bei vielen Redaktionen. Dass sie davon wegkommen, immer nur über das zu berichten, was sie immer schon berichtet haben oder über das berichten, was vermeintlich die meisten Klicks im Internet bringt. Ich wünsche mir, dass die Medien ein realistischeres Bild vom Sport in Deutschland abbilden und nicht nur überwiegend über Männersport berichten.“
Nina Probst, Chefredakteurin Sportfrauen.net

Stefanie Opitz blickt auf eine lange und erfolgreiche Karriere im Sportjournalismus zurück.

Wünschen Sie sich mehr Kolleginnen im Sportressort, Stefanie Opitz?
„Mir ist klar geworden, dass ich Frauen fördern und begleiten muss im Sportjournalismus. Die kommen nicht einfach vom Himmel gefallen. Das ist etwas Prozesshaftes, was sich entwickeln muss. Es braucht Vorbilder.“
Stefanie Opitz, Sportreporterin

Olympia: eine Chance für die Sportberichterstattung

Erstmals seit Beginn der Olympischen Spiele treten in Tokio gleichviele Sportler*innen in den Kategorien männlich und weiblich an. Doch bis es zum Standard gehört, dass Frauen im Fernsehen über Sport live berichten, kommentieren und Sportsendungen moderieren, können wir uns nur an kleinen Veränderungen und Verbesserungen erfreuen. Immerhin ist die Debatte um eine gendersensible Sprache im Sportjournalismus angekommen und hat schon viel bewegt.

Die Hoffnung liegt nun auf Tokio: Wenn der Aufforderung des DOSB gefolgt wird, dürften endlich mehr Leute mitbekommen, dass es neben den Sportlern wahnsinnig tolle Sportlerinnen gibt, die Spitzenleistungen erbringen. Nicht nur bei Olympia.

Portrait Anna E. Poth

© privat

Anna E. Poth

REFERENTIN GENDERLEICHT.DE

Anna E. Poth diskutiert viel und gerne, um andere Leute zum Umdenken und Hinterfragen anzustoßen. Das gendergerechte Sprechen lässt sie auch als Theaterregisseurin noch sensibler auf ihr Gegenüber eingehen. Ihre journalistischen Projekte können zudem auf der Bühne wiedergefunden werden.

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