Twitter voller Sterne

von | 8. Oktober 2020 | Gendern im Journalismus, Medienschau

Hüpfender Mensch vor Sternenhimmel

Sternchen über Sternchen – auch auf Twitter?
© picture alliance, Sergey Nivens, Shotshop

Ein Himmel voller Sterne ist etwas Wunderbares, doch Twitter voller Sterne ist für einige Menschen noch ein ganz neuer Anblick.

Auf Twitter wird diskutiert und debattiert. Wer auf Twitter viel unterwegs ist, bemerkt schnell, dass auch Medienhäuser, Verbände und Initiativen gendersensibel schreiben, viele aber weiterhin am generischen Maskulinum festhalten. Im Hinblick auf die neuesten Veränderungen und Diskussionen in konservativen Zeitungsverlagen wissen wir: Es tut sich einiges.

Gendern überregionale Redaktionen auf Twitter?

Wir haben uns gefragt: Wie sieht es in redaktionell geführten Twitter-Auftritten von überregionalen Medien aus? Gibt es dort Veränderungen? Um einen Eindruck zu gewinnen, haben wir Tweets von sechs bundesweiten Tages- und Wochenzeitungen sowie einer Zeitschrift analysiert. Wir wählten dabei eine Mischung von konservativen bis jungen Medien aus. Denn auch konservative Zeitungen, die schon seit 75 Jahren publizieren, können überraschen. Kurz um: Es wird häufiger gendersensibel geschrieben als wir dachten!

 

Die Untersuchung: Quantitative Inhaltsanalyse

Die Forschungsfragen unserer quantitativen Inhaltsanalyse: „Ist das generische Maskulinum auf Twitter so präsent wie in Online-Auftritten und Printausgaben? Wird auf Twitter mehr sprachliche Vielfalt ausprobiert?“

Unsere Kandidaten zur Analyse der Twitterfeeds und des Twitterverhaltens standen schnell fest: Zeitonline, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, taz, Der Spiegel und Der Freitag. Bei dieser Mischung ließ sich direkt vermuten, dass die taz als junges und alternatives Medium auf Twitter mit Genderzeichen schreiben könnte. Aber tut sie das wirklich ausschließlich?

In zwei verschiedenen Zeiträumen, jeweils für eine Woche, haben wir die Tweets nach ihren sprachlichen Merkmalen untersucht. Die ersten Tweets wurden im Juni 2020 (02.06-09.06.20) ausgewertet. Die zweite Analysephase startete am 03. August 2020 und endete am 10. August 2020.

Im Durchschnitt wurden in den Zeiträumen, je nach Medium, 130 bis 600 Tweets veröffentlicht. Dabei veröffentlichte Zeitonline die meisten Tweets. Eine eher entspannte Haltung auf Twitter hat die Wochenzeitung der Freitag mit 130 Tweets pro Woche.

Schnell fällt auf, dass die meisten Redaktionen im generischen Maskulinum schreiben. Doch positiv überrascht hat uns das häufige Verfassen von genderneutralen Tweets. Einen Tweet genderneutral zu formulieren ist ein guter Kompromiss, wenn die Genderzeichen in der Redaktion noch umstritten sind. Beispielsweise wird dann von Personen, Menschen oder Leuten gesprochen.

 

Welche Zeitungen twittern mit Genderzeichen?

Zeitonline, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung lehnen Gendersternchen und Co. in ihren redaktionellen Teilen für Print und Online ab. Das ist verständlich, denn sie halten sich an die amtlichen Rechtschreibregeln. Danach ist die Benutzung von Genderzeichen bisher nicht regelkonform. Auch ihre Social Media Teams halten sich daran. Bei den beobachteten Tweets konnten wir jedenfalls keine „Ausrutscher“ in Form von Sternchen entdecken.

Genderzeichen nutzen nur zwei Zeitungen: taz und Der Freitag.

Die quantitative Inhaltsanalyse umfasste die üblichen Genderschreibweisen: Gendersternchen, Gender-Gap und Genderdoppelpunkt

Die taz hat im Verlauf der untersuchten Zeiträume 26 gegenderte Tweets verfasst. Unsere Aufstellung zeigt, wie unterschiedlich sie dabei Genderzeichen eingesetzt hat:

Nun sieht es so aus, als würde die taz immer geschlechtersensibel twittern. Das tut sie nicht. @tazgezwitscher formuliert auch genderneutral und manchmal sogar mit generischem Maskulinum. Die Tabelle zeigt sehr gut, wie locker die linke alternative Tageszeitung verschiedene Schreibweisen ausprobiert und ihren Redakteur_innen viele Freiheiten gibt.

Die taz hatte im Verlauf der untersuchten Zeiträume insgesamt 26 gegenderte Tweets verfasst. Blicken wir genauer darauf, sehen wir, dass sie im Juni vermehrt den Genderdoppelpunkt ausprobiert hat.

In den nachfolgenden Kreisdiagrammen lässt sich erkennen, dass der Genderdoppelpunkt nach der Versuchsphase im Juni, im August vom Genderstern verdrängt worden ist. Der Genderdoppelpunkt ist nur noch gleichauf mit der Binnen-I Schreibweise. Bei der taz werden Tweets also weiter vor allem mit Gendersternchen geschrieben.

Neben der taz hat eine weitere Wochenzeitung gegendert: Der Freitag. Allerdings nur zweimal im Beobachtungszeitraum. Das ist im Vergleich zur Taz sehr sehr wenig, doch auch hier haben wir zwei Variationen festgestellt: Genderdoppelpunkt und Gendersternchen.

 

Was lernen wir aus dem Twitterverhalten dieser Medien?

Dass die taz und Der Freitag in ihrer Schreibweise variieren, finden wir erst mal gut. Doch spiegelt es auch wieder, dass eine gängige Verwendung von Genderzeichen noch nicht gefunden worden ist.

In Bezug auf Barrierefreiheit ist es für Personen, die wenig oder gar nicht sehen können, weiterhin schwierig Texte mit Gendersternchen, Gender-Gap oder Genderdoppelpunkt einfach zu erfassen. Vielleicht also doch bei der Beidnennung bleiben, wie hier bei der Süddeutschen Zeitung?

Die Beidnennung „Schülerinnen und Schüler“ ist schon mal besser als das generische Maskulinum, doch die optimale Lösung ist es nicht. Durch die Beidnennung werden nur zwei Geschlechter miteinbezogen. Für die Dritte Option Divers ist in dieser Formulierung kein Raum. Dies geht nur mit den verschiedenen Genderzeichen oder durch Ausformulieren wie in „alle Geschlechter“.

 

Mein Fazit

Twitter wird vielleicht nie voll mit Sternen sein. Schade, finde ich. Sterne haben so etwas Positives und Entspannendes, was Twitter in diesen turbulenten Zeit manchmal gut stehen würde. Es bleibt also spannend!

 

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Anna E. Poth diskutiert viel und gerne, um andere Leute zum Umdenken und Hinterfragen anzustoßen. Das gendergerechte Sprechen lässt sie auch als Theaterregisseurin noch sensibler auf ihr Gegenüber eingehen. Ihre journalistischen Projekte können zudem auf der Bühne wiedergefunden werden.

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