Genderleicht ist in erster Linie für journalistische Profis da. Aber natürlich suchen auch andere, die mit Texten arbeiten, in unserem Webportal nach praktikablen Tipps für geschlechtergerechtes Formulieren. So tauchen im Textlabor häufig kniffelige Fragen zu Vereinssatzungen und rechtlich relevanten Schreiben auf – meist geht es darum, wie sich das Gendersternchen einbauen lässt.
Wir fanden es an der Zeit, eine Expertin zu bitten, uns einen Überblick über die Möglichkeiten zu geben, wie sich Rechtstexte geschlechtergerecht formulieren lassen. Ohne Sternchen oder Gender-Gap, weil in formellen Schreiben diese Wortzusätze meist nicht erwünscht sind. Jessica Pleiner arbeitet in einer internationalen Sozietät. Als Diplom-Übersetzerin verbindet sie ihr Knowhow in juristischen Angelegenheiten mit dem Wissen über diskriminierungsfreie Sprache.
Juristische Texte – eine besondere Kategorie
Neulich las ich in einem Marketingtext:
„40 % unserer Anwälte sind Anwältinnen.“
Grammatikalisch richtig, aber ich bin beim Lesen gestolpert. Sie auch? „Die Rechtsbranche ist halt konservativ“, werden Sie vielleicht sagen. Und: Das generische Maskulinum ist nun mal allgegenwärtig. Interessanterweise ist aber in einigen juristischen Schriftstücken durchaus von „Mandantinnen“ oder „Klägerinnen“ die Rede. Der einfache Grund: Die Rechtsform vieler Unternehmen ist grammatikalisch weiblich (die GmbH, die AG oder die KG).
Gendern macht es komplizierter?
Ob Gesetze, Verträge, oder Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBs): Rechtstexte gelten ohnehin als schwer verständlich. Gendergerecht formulieren – das macht doch alles noch komplizierter? Nicht unbedingt.
Eines vorab: Für Bundesgesetze gibt es enge Vorgaben, nachzulesen im Handbuch der Rechtsförmlichkeit in „Kapitel 1.8 – Sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern“, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, und bereits 2008 vorbildlich:
- eindeutige Personenbezeichnungen (nicht: „der Käufer und/oder die Käuferin“)
- sprachliche Gleichstellung von Frauen und Männern
- vorlesbarer Text (z. B. für Sehbehinderte)
- kein Binnen-I
- bevorzugt geschlechtsneutrale Bezeichnungen
- übersichtlicher Text, nicht zu häufige Paarformen („Bürgerinnen und Bürger“)
Dabei hat – kaum zu glauben – die Verständlichkeit Priorität.
Spielräume nutzen
Bei anderen Rechtstexten, die keine Gesetze sind, ist der Spielraum größer. Es gibt neutrale Bezeichnungen, die z. B. in AGBs und Verträgen eingesetzt werden können:
Tipp 1: Neutrale Begriffe verwenden
- der oder die Beschäftigte
- die Fachkraft, das Personal, das Mitglied
- die Geschäftsführung, das Team, die Abteilungsleitung
Auch Umformulierungen wie „kritische Stimmen“ statt Kritiker, „Fachleute“ statt Experten und „alle, die teilnehmen“ lassen sich gut einbauen.
Einige Begriffe sind jedoch im Gesetz festgelegt und müssen deshalb verwendet werden.
Kürzlich diskutierte ich mit einigen Juristinnen über den „Geschäftsführer“, der im GmbH-Gesetz genau definiert ist. Die Anwältinnen waren sich einig, dass die „Geschäftsführerin“ auch richtig im Sinne des GmbH-Gesetzes verstanden würde. Die „geschäftsführende Person“ hingegen nicht.
In diesem Zusammenhang brachte eine Anwältin folgende Möglichkeit ins Spiel:
Tipp 2: Neutrale Bezeichnungen definieren
- Geschäftsführer oder Geschäftsführerin im Sinne des GmbH-Gesetzes (im Folgenden: „geschäftsführende Person“) ist …
Eine interessante Lösung, die sich nahtlos in Texte einfügt, in denen Begriffsdefinitionen üblich sind.
Aber was ist mit juristischen Personen? Sie haben – wie oben erwähnt – nur ein grammatikalisches Geschlecht.
Tipp 3: „Fachwörter“ im generischen Maskulinum
Beispiele :
- Arbeitgeber
- Mieter
- Vermieter
Solch eine Bezeichnung kann sowohl für natürliche Personen (z. B. einen Mann) als auch für juristische Personen (z. B. eine GmbH) gelten. Wir haben wir es dann mit Menschen und „Nicht-Menschen“ zu tun. In diesem Fall empfiehlt das Handbuch der Rechtsförmlichkeit das generische Maskulinum. Solche Begriffe können wir als „Fachwörter“ verstehen.
Sobald jedoch ausschließlich Menschen bezeichnet werden, sieht die Sache anders aus. Ist „der Mieter“ eine Frau, sollte sie im Mietvertrag auch als „Mieterin“ bezeichnet werden. Eigentlich logisch. Mieten eine Frau und ein Mann etwas gemeinsam, so ist die Beidnennung „Mieterin und Mieter“ oder, sofern es für beide Parteien in Ordnung ist, „Mieter*innen“ oder „Mieter_innen“ angebracht. Sie können auch eine neutrale Bezeichnung definieren (siehe Tipp 2): „Frau Müller und Herr Meier (im Folgenden: „die Mietpartei“) …“
Das Arbeitsrecht als Vorreiter
Am häufigsten finden sich gendergerechte Formulierungen in Stellenausschreibungen. Denn nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist allen Menschen ein diskriminierungsfreies Arbeitsleben zu ermöglichen. Welches Unternehmen möchte schon verklagt werden und im schlimmsten Fall drei Monatsbruttogehälter als Entschädigung bei Ablehnung eine*r Bewerber*in zahlen müssen?
Dagegen sind Arbeitsverträge und interne Kommunikation selten gendergerecht. Aber es tut sich etwas: Neuauflagen von arbeitsrechtlichen Handbüchern enthalten geschlechtsneutrale Musterverträge und angepasste Empfehlungen.
Tipp 4: Direkte Ansprache
Eine gute Möglichkeit ist z. B. die persönliche Ansprache. Sie funktioniert in Verträgen, internen Schriftstücken, AGBs und Formularen.
- Statt Herr oder Frau nennen Sie nur Vorname Nachname
- „Ihr Vertrag beginnt am …“ und „Ihre Arbeitszeiten sind … .“
- „Wenn Sie oder Unternehmensname den Vertrag kündigen, …“
Tipp 5: IT-Systeme nutzen
Denken Sie auch an automatisierte Bewerbungsverfahren und IT-Systeme. Mit Hilfe dieser Systeme werden häufig Schreiben mit Satzbausteinen erstellt. Eine Anpassung der Sprache ist hier besonders effizient, wenn auch zunächst mit Aufwand verbunden. Dafür bieten die überarbeiteten Schreiben dann keinen Anlass zu Beschwerden mehr.
- Überarbeiten Sie Ihre Vorlagen. Verwenden Sie dabei Begriffe wie „alle“, „wir“, „Interessierte“ oder „Team“.
- Ergänzen Sie die Kategorien männlich und weiblich um das Feld „divers“ oder „keine Angabe“.
- Nutzen Sie Anreden wie „Guten Tag Vorname Nachname“.
Formulare geschickt aktualisieren
Eine Herausforderung sind Formulare: Der Text ist oft sehr klein gedruckt und zum Teil verkürzt. Die Kunst liegt darin, das Wesentliche so knapp wie möglich auszudrücken.
Tipp 6: Umgestalten
Anstelle von
Name des Antragstellers:
Geburtsdatum des Antragstellers:
bietet sich an:
Beantragt von:
Name:
Geburtsdatum:
Verzichten Sie auf Wiederholungen. Verwenden Sie einen Einleitungssatz.
Folgende Angaben werden von der antragstellenden Person benötigt:
Name:
Geburtsdatum:
Diese Art der Gestaltung ist auch in anderen Texten möglich.
Kreative Verträge
Es klingt nach einem Widerspruch: Verträge und kreativ. Aber die Ausgestaltung von Verträgen ist durchaus eine kreative Tätigkeit, nur eben mit juristischen Mitteln. Eine Schwierigkeit ist, dass dabei oft lange und verschachtelte Sätze entstehen. Durch Gendern dürfen sie nicht noch komplizierter werden. Ein Tipp aus dem Journalismus ist sicher wertvoll: Schreiben Sie kürzere Sätze. Das hilft allen, den Inhalt besser zu verstehen.
Tipp 7: Strategien kombinieren
Was das Gendern angeht: Sie könnten zu Beginn die Beidnennung oder Paarform (der Kunde oder die Kundin) einführen und andere Lösungen ergänzend einsetzen. Schreiben Sie zum Beispiel:
„Den Vorsitz übernimmt die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident. Dies ist diejenige Person, die dem Landtag die längste Zeit angehört hat.“
- Das ist eleganter als: „Alterspräsidentin oder der Alterspräsident ist die- oder derjenige, die oder der …“
Wechseln Sie in Ihren Sätzen zwischen der männlichen und weiblichen Form. Ausnahme: Es ist ausdrücklich ein bestimmtes Geschlecht gemeint. Sie sollten dazu eine erklärende Anmerkung einfügen.
Weitere Strategien finden Sie u. a. im Leitfaden des Landes Schleswig-Holstein.
Wer soll das lesen?
Um Ihre Inhalte richtig formulieren zu können, sind zwei Fragen wesentlich:
1. Wer soll meinen Text lesen?
2. Wie soll er bei der Zielgruppe ankommen?
Überlegen Sie während des Schreibens:
- Kann ich das auch anders sagen?
- Was ist gut für das Unternehmen, das ich berate?
- Kann die Mandantin oder der Mandant durch eine andere Formulierung einen größeren Pool an Fachkräften ansprechen oder mehr Kundschaft gewinnen?
Leitsatz: Sagen, was ist
Das Motto des Magazins Der Spiegel passt auch für juristische Texte.
- Benennen Sie Konkretes als das, was es ist: die Rechtsanwältin, der Experte, die Kolleginnen und Kollegen.
- Ist nicht eindeutig, wer gemeint ist, verwenden Sie eine neutrale Bezeichnung.
- Probieren Sie verschiedene Strategien aus. Die Klarheit der Aussage hat Priorität.
- Bedenken Sie, dass das generische Maskulinum Menschen ausschließt.
Der eingangs genannte Marketing-Satz könnte also auch so lauten:
„Wir leben Diversität.
Unser Beratungsteam besteht zu 40 % aus Anwältinnen.“
Klingt schon besser.
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Jessica Pleiner
Gastautorin
Diplom-Übersetzerin für Englisch und Spanisch mit Fachrichtung Recht in einer internationalen Wirtschaftskanzlei. Jessica Pleiner gibt auch Workshops zu gendergerechter Sprache – für Juristinnen und Juristen, Marketingfachleute und das Human-Resources-Team.
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