„Bei uns gendert auch der 77-jährige Autor!“

von | 26. Mai 2020 | Erfahrungsberichte

Bleistift und Radiergummi liegen auf einem Heft mit leeren Seiten

Mit spitzem Stift: Beim Lektorieren gilt es, die Genderfallen zu finden.
© picture alliance, PantherMedia

Das Gendern im Sachbuchverlag ist etablierter als viele von uns vermutlich gedacht haben.

Gendern in der Verlagswelt? Gibt es das schon?

So unmöglich, wie es scheint, ist es nicht. Viviane R. ist eine junge Lektorin und arbeitet seit ca. einem Jahr in einem Sachbuchverlag in Frankfurt am Main. Das Gendern hat sie mitgebracht. Wir haben mir ihr über ihre Erfahrungen, Überraschungen und Herausforderungen gesprochen.

 

Der Verlag hat Dich nach eigener Aussage eingestellt, weil Du weiblich, jung und politisch bist. Da lässt es sich vermuten, dass Du so eine Quoten-Frau bist, um modern mit der Zeit zu gehen?

Ja, ich finde jedes Unternehmen sollte eine vegane Feministin haben (lacht). Ich weiß ja zum Glück, dass ich wegen meiner Leistung und meines Potenzials eingestellt worden bin und nicht nur, weil ich eine Frau bin. Doch es fällt schon auf, dass manchmal Themen an mich weitergereicht werden mit der Nachfrage: „Was sagst denn Du als Frau dazu?“ (lacht). Ich gehe nicht davon aus, dass ich als Quoten-Frau eingestellt wurde. Es würde ja keine Person mitbekommen. Wenn wir mehr Publicity in die Richtung machen wollten, würden wir gezielter mit Autorinnen zusammenarbeiten. Und mittlerweile gibt es auch eine zweite weibliche Angestellte. Verlage können eher eine Wirkung erzielen, wenn sie eine gewisse Diversität bei den Autor*innen haben. Natürlich wird durch ein diverseres Team ein breiteres Ideenspektrum und mehr Vielfalt an Autorinnen und Autoren gefördert.

 

Schon vor Deiner Arbeit im Verlagswesen war Dir das Gendern in der Sprache wichtig. Kannst Du kurz erläutern, was für Dich die wichtigsten Punkte sind?

Am Anfang war es mir wichtig, dass auf jeden Fall die weibliche Form mitgenannt wird. Doch nur die weibliche Form deckt ja noch nicht die komplette Gesellschaft ab. Und dann habe ich einfach queere Freund*innen gefragt, wie sie sich sprachlich am besten mitgemeint fühlen. Für sie ist das Gendersternchen am passendsten. Ich finde es auch gut, da es einfach schreibbar und lesbar ist. Eine relativ kleine Änderung im Schreibstil, mit der ein Riesengewinn erzielt werden kann.

 

Wie lässt sich das Gendern im Sachbuchverlag etablieren?

Es ist ein ganz langsamer Prozess, weil die Autorinnen und Autoren ja auch ein Spiegel der Gesellschaft sind. Ich schau erst mal, was die Person mir vorgibt. Wenn jetzt im Text mit Binnen-I gegendert wird, dann lasse ich das auch zu. Wenn gar nicht gegendert wird, weise ich deutlich daraufhin, dass wir nur einen Teil der Gesellschaft ansprechen und nicht die Mehrheit unserer Gesellschaft. Allerdings sind ja Autor*innen eher im künstlerischen Bereich unterwegs, da muss man diplomatisch und im Dialog an die Sache rangehen. Mit Regeln habe ich eher schlechtere Erfahrungen gemacht. Im Dialog lässt es sich einfach gut und begründet erklären.

 

Stehen Deine Vorgesetzten und Kollegen hinter Dir?

Ich würde schon sagen, dass die meisten hinter mir stehen. Aber es gibt schon auch harschere Diskussionen darüber, wofür wir dieses Gendergedöns denn brauchen (lacht). Nach dem Motto: Das hat früher doch auch geklappt. Den meisten Kollegen ist es nicht super wichtig. Es ist ein passives Akzeptieren, statt eines aktiven Agierens. Intern gendern wir mittlerweile auch.

 

Gibt es dann auch sprachliche und fachliche Diskussionen?

Ja auf jeden Fall, wenn du wirklich mit Sternchen durchgenderst, kannst du auch einen sehr verhackstückelten Satz haben. Das ist für das Lesebild recht störend und kann das Verständnis behindern. Wenn du zu sehr abgelenkt bist, weil der Satz aussieht wie eine Formel, verstehst du nicht was dahintersteht. Da versuchen wir dann gemeinsam eine Lösung zu finden, wie zum Beispiel im Plural zu schreiben. Manchmal gibt es auch die Diskussion, dass wir mit Sprache nicht die Welt verändern können. Da haben wir alle andere Meinungen. Aber es gibt auch natürlich ein bisschen die „Generationendiskussionen“ bei uns.

 

Wie sind Deine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Autor*innen?

Ich gucke erst, was von den Autor*innen kommt, ich denke aber auch, es ist einfacher in einem Sachbuch das Gendern zu etablieren als in einem Roman. Im Sachbuch kannst du schon eher mal einen komplizierten Satz setzen und musst eine andere Art der Spannung halten. Wenn du einen Roman komplett durchgenderst, auch bei unwichtigen Nebensätzen, ist das ganz schlecht für den Lesefluss. Ich würde sagen, da habe ich eine etwas privilegierte Position in einem Sachbuchverlag. Es ist einfacherer. Abgesehen davon nutze ich gerne den Plural und versuche, Autorinnen und Autoren verschiedene Ideen zum Gendern zu geben – denn auch sie sind Gewohnheitstiere.

So gendere ich auch häufig indirekt und gehe beispielsweise von den Stereotypen weg wie Arzt und Krankenschwester. Das ersetze ich dann mit Ärztin und Pfleger. So dass auf jeden Fall klar wird, dass alle Geschlechter irgendwie berücksichtigt werden. Da fällt natürlich das Gendersternchen weg, doch es ist für viele, die noch am Anfang stehen mit dem Gendern, ein guter Kompromiss. Ein Problem haben wir eher mit Lesungen. Ein Sachbuch ist fürs Lesen geschrieben. Es ist ein großer Unterschied, ob du ein Buch liest oder vorliest, und das Gendersternchen wird ja nur als Lücke ausgesprochen. Da muss man mal schauen, wie es sich entwickelt, denn ich finde, dass wir zwischen cis-Frauen und cis-Männern ja mehr als nur eine Lücke haben.

 

Gibt es einen Unterschied im Umgang mit dem Gendern zwischen den Geschlechtern unter den Autorinnen und Autoren?

Ich bin tatsächlich mit der Erwartung da reingegangen, dass hauptsächlich Frauen und junge Männer aufs Gendern achten und es dem „alten weißen Mann“ total egal ist. Diese Erfahrungen und Eindrücke hatte ich in meinem täglichen Umfeld und bei meiner vorigen Arbeit bei der Bundeszentrale für politische Bildung zumindest gemacht. Die Lektorate, die ich jetzt schon hatte, sind nicht so repräsentativ. Doch es fällt total auf, dass „der alte weiße Mann“ gendert. Bei uns gendert auch der 77-jährige Autor! Man sieht sehr häufig, dass sie bewusst an die Sache rangehen. Die weibliche Person mit reinnehmen und manchmal sogar Queere. Es sind Versuche, die ich gerne unterstütze.

Auch sind es eher Frauen, die beim generischen Maskulinum bleiben möchten. Ich vermute, dass sie das vor allem tun, um nicht als „Genderfeministin“ abgestempelt zu werden. Sie möchten, dass sich die Lesenden auf den Inhalt fokussieren. Auffallend ist auch noch, dass Redewendungen im alten Sprachgebrauch genutzt werden. So etwas wie: „Da kamen die drei jungen Damen …“ Das würde heute eine Person zwischen 20 und 40 nicht mehr schreiben. Oder: „Hübsche junge Damen“. Das streiche ich, wenn nicht zuvor von hübschen jungen Männern gesprochen worden ist (lacht). Zusammengenommen verändert sich schon viel, und Dinge wie alte Redewendungen sind definitiv erst mal nicht böse oder abwertend gemeint.

 

Hast Du Einblick in andere Verlage? Verändert sich die Verlagswelt?

Das Gendern nimmt weiter zu. Es gibt aktuell schon die Bandbreite von Büchern im generischen Maskulinum bis hin zu Büchern, die konsequent gegendert sind. Zum Beispiel das Buch „Schwarzer Feminismus“ von Natascha A. Kelly ist mit Frau* geschrieben. Also die Sternchen noch zusätzlich hinten anstehend. Das ist beim Lesen eher ungewohnt, doch nach paar Seiten wird es einfach mitgelesen. Auch die Obdachlosen-Zeitung in Bonn gendert mittlerweile mit dem Binnen-I. Nicht nur in Buchverlagen, auch in Zeitungsverlagen ist das Gendern ein großes Thema. Ich habe mich auch noch bei anderen Verlagen umgehört. Es ist schon eher so, dass Autor*innen entscheiden, wie sie gendern. Meistens orientieren die Verlage an dem, was von ihnen vorgegeben wird.

 

Was sind Deine Ideen für die Zukunft? Meinst Du, dass sich eine gendergerechte Schreibweise in Verlagen etablieren wird?

Ich gehe stark davon aus, dass das Gendern Normalität wird. Wahrscheinlich nicht einheitlich. Doch es wird keine Diskussionen mehr geben, wann wer mitgemeint ist. Wir werden uns einfach so ausdrücken, dass alle mitgemeint sind. Natürlich wird es viel Zeit brauchen. Es ist auch eine Frage der Generation und des gesellschaftlichen Hintergrunds. Wenn du im Alltag mit Personen umgeben bist, die darauf achten, wirst du es leichter haben. Wenn du gar nichts damit zu tun hast, wirst du viel länger brauchen. So ist ja auch die Kultur einer Gesellschaft. Die Sprache wird sich langsam ändern, und parallel wird das Bewusstsein für eine gendergerechte Sprache geschaffen.

 

Danke für das Gespräch und Deine Offenheit!

Ich danke Dir!

 

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Anna E. Poth

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Anna E. Poth diskutiert viel und gerne, um andere Leute zum Umdenken und Hinterfragen anzustoßen. Das gendergerechte Sprechen lässt sie auch als Theaterregisseurin noch sensibler auf ihr Gegenüber eingehen. Ihre journalistischen Projekte können zudem auf der Bühne wiedergefunden werden.

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