Genderleicht.de wendet sich mit seinen Schreibtipps in erster Linie an journalistische Profis. Strikte Vorschriften finden sich nicht auf der Website, stattdessen charmante Ideen und nachahmenswerte Impulse zum gendergerechten Schreiben. Es ist Medienhäusern und Redaktionen überlassen, eine Haltung zum Gendern zu entwickeln. Anders verhält es sich in großen Organisationen, die nach außen ein stimmiges Bild ihrer Kommunikation abgeben wollen. Hier gibt es oft den Wunsch, verbindliche Leitlinien und besser noch Schulungen für sämtliche Abteilungen zu erhalten. Mit welchen Vorgaben sich das in der Praxis erreichen lässt, erklärt uns die Kommunikations- und Gendertrainerin Corinna Waffender.
Genderstandards als Orientierungshilfe
Sprachliche Gleichbehandlung gehört in zeitgemäßer Kommunikation längst zur Corporate Identity: Organisationen, die sich als gesellschaftliche Akteurinnen verstehen, öffentliche Verwaltungen, die einem modernen Genderbild verpflichtet sind, und Firmen, die mit Diversität punkten wollen, entwickeln deshalb Genderstandards. Um Chancengleichheit in einem einheitlichen Erscheinungsbild abzubilden.
Sprachstandards versus Autonomie
Wer für sich selbst und die eigenen Texte steht, hat große Freiheit, die eigene Sprache zu gestalten. Weder die Rechtschreibordnung noch die Dudenempfehlungen sind außerhalb des Bildungskontextes verpflichtend. Es sei denn, Schreibende verfassen und veröffentlichen Texte im Auftrag nach Dienst(leistungs)vereinbarung. Etwa Angestellte des öffentlichen Dienstes oder Beschäftigte in Unternehmen mit vertraglicher Bindung. Sie handeln weisungsgebunden und müssen während ihrer Arbeitszeit festgelegte Kommunikationsregeln einhalten: Anredeformeln oder Grußformeln gehören dazu und beeinflussen direkt den Umgang mit der jeweiligen Zielgruppe: Muss in einer Verwaltung gegendert werden? Und wenn ja: wie? Sollen Stellenausschreibungen abmahnungssicher sein und soll das sogenannte dritte Geschlecht genannt werden? Gendersternchen, Binnen-I, Gender-Gap oder Doppelpunkt – was ist gewünscht, was gilt als No-Go? Um solche Regeln zu vermitteln und um Mitarbeitende darin gezielt zu schulen, lassen mehr und mehr Organisationen und Unternehmen eigene Genderstandards entwickeln.
Standard-Entwicklung funktioniert top-down
Die Weiterentwicklung von Kommunikation innerhalb von Organisationen folgt dem Top-Down-Prinzip und wird von der obersten Leitungsebene initiiert. Nicht selten reagiert ein Bereich dabei auf Impulse von außen – der Wandel im Innern aber fängt mit einem klaren Auftrag und einem entsprechenden Budget an. Darüber entscheidet fast immer und überall die jeweilige Führungsebene. Denn es geht nicht nur um Haltung und Bekenntnis, sondern auch um Geld: Wer professionell Vielfalt in der Organisationssprache implementieren will, investiert meist in professionelle Unterstützung zur Entwicklung neuer Kommunikationsregeln, in die Korrektur und Überarbeitung bestehender Vorlagen und in die Anpassung der Öffentlichkeitsarbeit. Das Wichtigste aber bleibt die Durchführung zielgerichteter Schulung derjenigen, die den Sprachwandel in ihren Köpfen und am Arbeitsplatz vollziehen sollen. Allen voran übrigens die Führungskräfte – je ernster sie die Umsetzung nehmen, umso breiter wird die Zustimmung sein.
Richtig ist, was zur Regel gemacht wird
Jeder Sprachwandel grenzt sich zum bisherigen Gebrauch von Begrifflichkeiten und Strukturen ab. Schreibt also ein Team bisher nach den Regeln des Duden, könnte es das einfachste sein, dessen Empfehlungen zum Gendern zu übernehmen. Und tatsächlich gibt das kleine gelbe Heft mit dem vielversprechenden Titel „Richtig Gendern“ vielen Beschäftigten Sicherheit. Sollte ein vom Unternehmen entwickelter Genderstandard jedoch andere Varianten bevorzugen, führen diese Empfehlungen mitunter zu Verwirrung.
Die Angestellten der Stadtverwaltung Lübeck etwa werden den Genderstandard Ihres Dienstherren im Duden nicht als Option finden: Die „Mitarbeiter:innen“ der Dudenredaktion schlagen den Doppelpunkt (noch) nicht vor. Wer aber hat ihn sich als Variante ausgedacht? Sicher ein kompetentes Team aus Kommunikationsprofis, die neue Wege im serviceorientierten Gendern beschreiten und ihre Idee konsequent zur eigenen Regel erheben: Vielleicht genau richtig für die Stadtverwaltung Lübeck, anfänglich bestimmt eine Herausforderung für all jene, die in ihrem Auftrag schreiben, doch mit entsprechendem Training ein lohnenswerter Versuch.
Genderstandards sind textsortenspezifisch
Doppelpunkte, Großbuchstaben, Sternchen oder Unterstriche – mehr oder weniger schön und gut im Print zu lesen. Für die meisten Suchmaschinen allerdings noch immer ein Killer: Solange Gendern über Satzzeichen im Ranking nach weiter unten führt, ist es dringend nötig, die Textsorte im Blick zu haben. Digitales Texten folgt anderen Regeln als analoges Schreiben. Artikel 1:1 downloaden? Bloß nicht! Genderstandards und Digitalität zusammengedacht machen sprachliche Chancengleichheit wirklich interessant. Denn digitales Texten zeigt uns längst, wie Sprachwandel realisiert werden kann: Klassische FAQ’s kennen das Problem nicht, zwischen Geschlechtern zu unterscheiden, denn sie haben sich längst verabschiedet von der Ansprache auf Metaebene.
Guter Content spricht Menschen direkt an. Er vermeidet den Umweg über Dritte, um Sachverhalte zu erklären, und richtet sich direkt an Lesende. Ich könnte auch sagen: an Sie. Und so können wir aus der digitalen Welt vielleicht lernen, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, Verallgemeinerungen weglassen und nur das berichten, was wir wirklich wissen und was für andere von Interesse ist. Ob das vermeintliche Geschlecht dann noch zu den Top-Themen gehört?
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Gendergerecht schreiben in sieben Schritten
Corinna Waffender
Gastautorin
Sie ist Sprachberaterin, Coach und Kommunikationstrainerin: Corinna Waffender arbeitet bundesweit für Öffentliche Verwaltungen, soziale Träger und Bildungseinrichtungen.
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