Der Lübecker Doppelpunkt und die lokale Presse

von | 22. Januar 2020 | Gendern im Journalismus, Medienschau

Jetzt also auch Lübeck: Die Stadtverwaltung gendert seit dem Jahreswechsel 2019/2020 – allerdings mit einem Gender-Doppelpunkt – nicht mit dem Gendersternchen, wie die Städte Hannover oder Flensburg, die im vergangenen Jahr geschlechtergerechte Sprache eingeführt haben. Wie gehen die örtlichen Tageszeitungen mit einer solchen Entscheidung um, die bis in ihre tägliche Berichterstattung hineinreicht? Genderleicht hat nachgefragt – bei den Chefredaktionen der Lübecker Nachrichten und der Hannoverschen Allgemeinen.

 

Gendersprache bei den Lübecker Nachrichten

„Wir tindern, posten, sharen und liken – und dann machen wir uns ins Hemd wegen eines Gender-Doppelpunktes?“ schreibt Redakteur Kai Dordowsky Anfang des Jahres in seinem „Pro“-Kommentar. Jasmin Off, stellvertretende Chefredakteurin der Lübecker Nachrichten (LN), hält im „Contra“ dagegen: Ihrer Meinung nach werde die Kommunikation unübersichtlicher und der Schriftverkehr holpriger. Dabei sollten gerade Behörden-Texte leicht verständlich sein.

Anfang Januar hatten die Lübecker Nachrichten (LN) die Einführung des Gender-Doppelpunktes in der Hansestadt an der Trave ausführlich in ihrer Berichterstattung abgebildet. Es wurde den Verantwortlichen Raum gegeben, zu erklären, warum und wie in Lübeck von jetzt an gegendert wird. Dem wurde das gespaltene Stimmungsbild der Landespolitik gegenüber gestellt sowie lobende, aber auch hämische Reaktionen aus den sozialen Netzwerken zitiert. Außerdem haben die beiden Autoren des Artikels recherchiert, ob und wie andere große Lübecker Institutionen gendern. (Der lesenswerte Artikel ist online zugänglich.) 

Wer die Lübecker Nachrichten liest, soll sich durch ausgewogene Berichterstattung selbst eine Meinung zur geschlechtergerechten Sprache bilden können, so die Haltung der schleswig-holsteinischen Tageszeitung (Auflage: 80.000 Exemplare). Lediglich in dem Pro-und-Contra-Artikel zeigt die Redaktion persönlichere Meinungen, was für und was dagegen spricht, wenn die Stadt Lübeck jetzt gendert.

Während sich Kai Dordowsky über die Aufregung um die geschlechtergerechte Sprache wundert und es längst für überfällig hält, dem weiblichen Teil der Bevölkerung und jenen, die sich geschlechtlich nicht einordnen können oder wollen, sprachlich mehr Respekt zu zollen, schreibt Jasmin Off, dass sie sich als Frau noch nie durch die Formulierung „Rednerpult“ diskriminiert gefühlt habe und dass sie sich, wenn von Bürgern und Wählern die Rede ist, mitgemeint fühle. Sie argumentiert, dass gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sowie weibliche Vorbilder in Führungspositionen wichtiger seien, als „die Einführung von Sternchen und Punkten“. In dem neuen Gendersprachleitfaden der Hansestadt Lübeck sieht sie eine gefährliche Bevormundung von Frauen.

 

Auf den Doppel-Punkt gebracht: Darum gendert Lübeck so

Hannover und Flensburg gendern mit Sternchen, Lübeck hat sich für eine eher unübliche Variante geschlechtergerechter Sprache entschieden. „Der Doppelpunkt zieht das Wort nicht auseinander wie der Unterstrich oder das Sternchen und bezieht trotzdem alle Personen mit ein (anders als z.B. die bisherige Variante mit dem Binnen-I)“ lautet die Begründung für den Gender-Doppelpunkt im „Leitfaden für gendersensible Sprache bei der Hansestadt Lübeck“. In dem Leitfaden wird aber auch darauf hingewiesen, dass es manchmal angebrachter sein kann, auf genderneutrale Personenbezeichnungen zurückzugreifen. Bei Wörtern, die sich grammatikalisch nicht korrekt mit dem Gender-Doppelpunkt gendern lassen (wie Experte oder Expertin bzw. Arzt oder Ärztin), rät er, auf die Beidnennung zurückzugreifen.

 

Gender-Doppelpunkt? „Ohne uns!“ sagt der LN-Chefredakteur

Die Lübecker Nachrichten wollen sich bei der Berichterstattung zum Thema gendergerechte Sprache nicht positionieren, sagt LN-Chefredakteur Gerald Goetsch zu Genderleicht am Telefon: „Wir berichten darüber, finden das interessant und bilden die Debatte ab. Dabei nehmen wir beide Meinungsstränge ernst.“ Gendergerechte Sprache ist also in Lübeck aus journalistischer Sicht ein relevantes Thema – aber mehr auch nicht.
Gegenderte Artikel und gegenderte Überschriften gibt es bei den Lübecker Nachrichten nicht, erklärt Gerald Goetsch: „Auf keinen Fall ändern wir unsere Sprache, denn wir übernehmen keine Sprachregelungen anderer. Mir widerstrebt das, weil ich niemanden bevormunden und erziehen möchte“, sagt er und ergänzt: „Bei wörtlichen Zitaten wäre es eventuell denkbar, dass wir das mitzitieren.“ Aber wahrscheinlich müsste der- oder diejenige dann explizit darauf hinweisen. Vorgekommen ist das bislang scheinbar noch nicht. Was aber hin und wieder in den Artikeln der Lübecker Nachrichten zu finden sei, ist die Beidnennung: „Da, wo es passt. Manchmal macht das ja auch inhaltlich mehr Sinn.“

 

Lübecker Nachrichten befragen Leser:innen zum Gender-Doppelpunkt

Im Zuge der Berichterstattung zur Einführung des Gender-Doppelpunktes haben die Lübecker Nachrichten unter Ihren Leserinnen und Lesern eine Online-Umfrage mit vorgegebenen Antworten gestartet. 415 Personen haben abgestimmt. Das Ergebnis ist eindeutig: Nur fünf Prozent (22 Personen) halten den Gender-Doppelpunkt für eine gute Sache, ein Prozent (6 Personen) hätte das Gendersternchen besser gefunden, drei Prozent (14 Personen) das Binnen-I und mit 91 Prozent (373 Personen) gab eine klare Mehrheit an, dass man ruhig hätte bei der weiblichen und der männlichen Form hätte bleiben können. Abgefragt wurde übrigens nicht, wie viele Personen das generische Maskulin besser gefunden hätten.

Dennoch verwundert die ablehnende Haltung gegenüber dem Gender-Doppelpunkt, denn auf einer von der Stadt organisierten Versammlung im Juni 2019 hatten sich die anwesenden Einwohnerinnen und Einwohnern mehrheitlich für die Gendersprache der Stadtverwaltung ausgesprochen. Für Chefredakteur Gerald Goetsch ist die Zurückhaltung seiner Leserschaft nicht überraschend, weil häufig Veränderungen erst einmal abgelehnt werden.

 

Gendersprache bei der Hannoverschen Allgemeinen

Die Redaktion der Hannoverschen Allgemeinen (HAZ) hat inzwischen Übung mit der Gendersprache ihrer Stadtverwaltung, eingeführt im Januar 2019. Ähnlich wie bei der Tageszeitung in Lübeck gilt in Hannover: „Die HAZ übernimmt das Sternchen nicht.“ Doch am sprachlichen Wandel ganz vorbei kommen die Journalistinnen und Journalisten dennoch nicht. Der stellvertretende HAZ-Chefredakteur Felix Harbart sagt: „Gleichwohl diskutieren wir natürlich darüber, wie wir der berechtigten Diskussion um gendergerechte Sprache Rechnung tragen können. Das äußert sich bisher so, dass wir mittlerweile häufiger als früher die Beidnennung verwenden („Schülerinnen und Schüler“). Das war früher völlig unüblich.“ So scheint sich also in Hannover in Sachen Gendersprache bei Tageszeitungen doch schon etwas bewegt zu haben.

 

Pressemitteilungen mit Gendersternchen und gegenderte Interviews

Seit einem Jahr landen nun in der Redaktion regelmäßig Pressemitteilungen mit Gendersternchen – bislang fast ausschließlich von Seiten der Stadt Hannover berichtet Felix Harbart. In den Artikeln gibt es jedoch keine Gendersternchen. Die fliegen im Zuge der journalistischen Überarbeitung raus. Bei Interviews hingegen verhält sich die Sache etwas anders: „Wenn Interviewpartner gendern, übernehmen wir das, soweit es möglich ist“, sagt Felix Harbart. „Dabei kam die Sternchen-Form bisher kaum zum Tragen, weil wir, so weit möglich, Interviews nur mündlich führen und der Stern sich nicht sprechen lässt. Meiner Erinnerung nach hatten wir einen Fall, in dem ein Interviewpartner oder eine Interviewpartnerin den Stern bei der schriftlichen Autorisierung sozusagen nachgereicht hat. Den haben wir übernommen.“ An größere Reaktionen aus der Leserschaft kann sich der stellvertretende Chefredakteur jedoch nicht erinnern – weder an positive, noch an negative.

Vielleicht sind die Menschen in Hannover inzwischen auch an Veränderungen gewöhnt: 2003 hatte die Stadt in ihren Druckwerken das Binnen-I eingeführt, 2019 das Gendersternchen. Die Beidnennung von Personengruppen in Zeitungsartikeln hat spürbar zugenommen.

Es wäre wohl mal ein interessantes Thema für eine Abschlussarbeit im Medienbereich, mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, inwiefern sich die Berichterstattung der Hannoverschen Allgemeinen oder der Lübecker Nachrichten in punkto geschlechtergerechte Sprache unterscheidet von Tageszeitungen, deren Stadtverwaltungen nicht gendern. Freiwillige vor!

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